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Text erwähnten Modifikation meiner ätiologischen Annahmen bestimmt.
[55] Zu den obenstehenden Behauptungen über die infantile Sexualität war ich im Jahre 1905
wesentlich durch die Resultate psychoanalytischer Erforschung von Erwachsenen berechtigt. Die
direkte Beobachtung am Kinde konnte damals nicht im vollen Ausmaß benützt werden und hatte
nur vereinzelte Winke und wertvolle Bestätigungen ergeben. Seither ist es gelungen, durch die
Analyse einzelner Fälle von nervöser Erkrankung im zarten Kindesalter einen direkten Einblick
in die infantile Psychosexualität zu gewinnen. Ich kann mit Befriedigung darauf verweisen, daß
die direkte Beobachtung die Schlüsse aus der Psychoanalyse voll bekräftigt und somit ein gutes
Zeugnis für die Verläßlichkeit dieser letzteren Forschungsmethode abgegeben hat. – Die
›Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben‹ (1909 b) hat überdies manches Neue gelehrt,
worauf man von der Psychoanalyse her nicht vorbereitet war, z. B. das Hinaufreichen einer
sexuellen Symbolik, einer Darstellung des Sexuellen durch nicht sexuelle Objekte und Relationen
bis in diese ersten Jahre der Sprachbeherrschung. Ferner wurde ich auf einen Mangel der
obenstehenden Darstellung aufmerksam gemacht, welche im Interesse der Übersichtlichkeit die
begriffliche Scheidung der beiden Phasen von Autoerotismus und Objektliebe auch als eine
zeitliche Trennung beschreibt. Man erfährt aber aus den zitierten Analysen (sowie aus den
Mitteilungen von Bell, s. oben, S. 81–2, Anm. [40]), daß Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren
einer sehr deutlichen, von starken Affekten begleiteten Objektwahl fähig sind.
[56] Man hat das Recht, auch von einem Kastrationskomplex bei Frauen zu sprechen. Männliche
wie weibliche Kinder bilden die Theorie, daß auch das Weib ursprünglich einen Penis hatte, der
durch Kastration verlorengegangen ist. Die endlich gewonnene Überzeugung, daß das Weib
keinen Penis besitzt, hinterläßt beim männlichen Individuum oft eine dauernde Geringschätzung
des anderen Geschlechts
[57] Der Reichtum an Sexualtheorien ist in diesen späteren Kinderjahren ein sehr großer. Im Text
sind hievon nur wenige Beispiele angeführt.
[58] Vgl. über Reste dieser Phase bei erwachsenen Neurotikern die Arbeit von Abraham (1916).
In einer späteren Arbeit (1924) hat Abraham sowohl diese orale als auch die spätere
sadistisch-anale Phase in zwei Unterabteilungen zerlegt, für welche das verschiedene Verhalten
zum Objekt charakteristisch ist.
[59] Abraham macht (im letzterwähnten Aufsatze) darauf aufmerksam, daß der After aus dem
Urmund der embryonalen Anlagen hervorgeht, was wie ein biologisches Vorbild der
psychosexuellen Entwicklung erscheint.
[60] Diese Darstellung habe ich später (1923) selbst dahin verändert, daß ich nach den beiden
prägenitalen Organisationen in die Kindheitsentwicklung eine dritte Phase einschaltete, welche
bereits den Namen einer genitalen verdient, ein Sexualobjekt und ein Maß von Konvergenz der
Sexualstrebungen auf dies Objekt zeigt, sich aber in einem wesentlichen Punkt von der
definitiven Organisation der Geschlechtsreife unterscheidet. Sie kennt nämlich nur eine Art von
Genitale, das männliche. Ich habe sie darum die phallische Organisationsstufe genannt (›Die
infantile Genitalorganisation‹). Ihr biologisches Vorbild ist nach Abraham die indifferente, für
beide Geschlechter gleichartige Genitalanlage des Embryos.
[61] Manche Personen wissen sich zu erinnern, daß sie beim Schaukeln den Anprall der
bewegten Luft an den Genitalien direkt als sexuelle Lust verspürt haben
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin