Page - 2713 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Nur selten ist man wie bei unserem Patienten in der glücklichen Lage, die tatsächliche Grundlage
dieser Dichtungen über die Urzeit durch das unerschütterliche Zeugnis eines Erwachsenen
festzustellen. Immerhin läßt die Aussage der Mutter den Weg für mehrfache Möglichkeiten
offen. Daß sie die sexuelle Natur des Vergehens, für welches das Kind gestraft wurde, nicht
proklamierte, mag seinen Grund in ihrer eigenen Zensur haben, welche bei allen Eltern gerade
dieses Element aus der Vergangenheit ihrer Kinder auszuschalten bemüht ist. Es ist aber ebenso
möglich, daß das Kind damals wegen einer banalen Unart nicht sexueller Natur von der
Kinderfrau oder der Mutter selbst zurechtgewiesen und dann wegen seiner gewalttätigen
Reaktion vom Vater gezüchtigt wurde. Die Kinderfrau oder eine andere dienende Person wird in
solchen Phantasien regelmäßig durch die vornehmere der Mutter ersetzt. »Wenn man sich in die
Deutung der diesbezüglichen Träume des Patienten tiefer einließ, fand man die deutlichsten
Hinweise auf eine episch zu nennende Dichtung, in welcher sexuelle Gelüste gegen Mutter und
Schwester und der frühzeitige Tod dieser Schwester mit jener Züchtigung des kleinen Helden
durch den Vater zusammengebracht wurden. Es gelang nicht, dieses Gewebe von
Phantasieumhüllungen Faden für Faden abzuspinnen; gerade der therapeutische Erfolg war hier
das Hindernis. Der Patient war hergestellt, und das Leben forderte von ihm, mehrfache, ohnedies
zu lange aufgeschobene Aufgaben in Angriff zu nehmen, die mit der Fortsetzung der Kur nicht
verträglich waren. Man mache mir also aus dieser Lücke in der Analyse keinen Vorwurf. Die
wissenschaftliche Erforschung durch die Psychoanalyse ist ja heute nur ein Nebenerfolg der
therapeutischen Bemühung, und darum ist die Ausbeute oft gerade bei unglücklich behandelten
Fällen am größten. Der Inhalt des kindlichen Sexuallebens besteht in der autoerotischen
Betätigung der vorherrschenden Sexualkomponenten, in Spuren von Objektliebe und in der
Bildung jenes Komplexes, den man den Kernkomplex der Neurosen nennen könnte, der die ersten
zärtlichen wie feindseligen Regungen gegen Eltern und Geschwister umfaßt, nachdem die
Wißbegierde des Kleinen, meist durch die Ankunft eines neuen Geschwisterchens, geweckt
worden ist. Aus der Uniformität dieses Inhaltes und aus der Konstanz der späteren
modifizierenden Einwirkungen erklärt es sich leicht, daß im allgemeinen stets die nämlichen
Phantasien über die Kindheit gebildet werden, gleichgültig, wieviel oder wie wenig Beiträge das
wirkliche Erleben dazu gestellt hat. Es entspricht durchaus dem infantilen Kernkomplex, daß der
Vater zur Rolle des sexuellen Gegners und des Störers der autoerotischen Sexualbetätigung
gelangt, und die Wirklichkeit hat daran zumeist einen guten Anteil.
[39] Vergessen wir nicht, daß er dies erfahren hatte, ehe der Hauptmann die (unberechtigte)
Aufforderung der Rückzahlung an Oberleutnant A. an ihn richtete. Es ist dies der für das
Verständnis unentbehrliche Punkt, durch dessen Unterdrückung er sich die heilloseste
Verwirrung bereitete und mir eine Zeitlang den Einblick in den Sinn des Ganzen verwehrte.
[40] Nachdem der Patient alles dazu getan hatte, die kleine Begebenheit von der Rückzahlung der
Nachnahme für den Zwicker zu verwirren, ist es vielleicht auch meiner Darstellung nicht
gelungen, sie ohne Rückstand durchsichtig zu machen. Ich reproduziere darum hier eine kleine
Karte, durch die Mr. und Mrs. Strachey die Situation zu Ende der Waffenübung verdeutlichen
wollten.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin