Page - 2725 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Erforschung der Anamnesen von Neurotikern bekannt. Nur fallen sie bei diesen letzteren im
zarten Kindesalter, zur Zeit der Frühblüte des Liebeslebens vor, bei unserem ganz und gar nicht
neurotischen Mädchen vollziehen sie sich in den ersten Jahren nach der Pubertät, übrigens
gleichfalls völlig unbewußt. Ob dieses zeitliche Moment sich nicht einstmals als sehr bedeutsam
herausstellen wird?
[158] Da ein solches Ausweichen bisher unter den Ursachen der Homosexualität wie im
Mechanismus der Libidofixierung überhaupt keine Erwähnung gefunden hat, will ich eine
ähnliche analytische Beobachtung hier anschließen, die durch einen besonderen Umstand
interessant ist. Ich habe einst zwei Zwillingsbrüder kennengelernt, die beide mit starken
libidinösen Impulsen begabt waren. Der eine von ihnen hatte viel Glück bei Frauen und ließ sich
in ungezählte Verhältnisse mit Frauen und Mädchen ein. Der andere war zuerst auf demselben
Wege, aber dann wurde es ihm unangenehm, dem Bruder ins Gehege zu kommen, infolge seiner
Ähnlichkeit bei intimen Anlässen mit ihm verwechselt zu werden, und er half sich dadurch, daß
er homosexuell wurde. Er überließ dem Bruder die Frauen und war ihm so »ausgewichen«. Ein
andermal behandelte ich einen jüngeren Mann, Künstler und unverkennbar bisexuell angelegt, bei
dem sich die Homosexualität gleichzeitig mit einer Arbeitsstörung durchgesetzt hatte. Er floh in
einem die Frauen und sein Werk. Die Analyse, die ihn zu beiden zurückführen konnte, wies die
Scheu vor dem Vater als das mächtigste psychische Motiv für beide Störungen, eigentlich
Entsagungen, nach. In seiner Vorstellung gehörten alle Frauen dem Vater, und er flüchtete zu den
Männern aus Ergebenheit, um dem Konflikt mit dem Vater auszuweichen. Solche Motivierung
der homosexuellen Objektwahl muß sich häufiger finden lassen; in den Urzeiten des
Menschengeschlechts war es wohl so, daß alle Frauen dem Vater und Oberhaupt der Urhorde
gehörten. – Bei Geschwistern, die nicht Zwillinge sind, spielt solches Ausweichen auch auf
anderen Gebieten als dem der Liebeswahl eine große Rolle. Der ältere Bruder pflegt z. B. Musik
und findet dafür Anerkennung, der jüngere, musikalisch weit begabter, bricht trotz seiner
Sehnsucht danach das Musikstudium bald ab und ist nicht mehr zu bewegen, ein Instrument zu
berühren. Es ist dies ein einzelnes Beispiel für ein sehr häufiges Vorkommen, und die
Untersuchung der Motive, die zum Ausweichen anstatt zur Aufnahme der Konkurrenz führen,
deckt sehr komplizierte psychische Bedingungen auf.
[159] Diese Deutungen der Wege des Selbstmordes durch sexuelle Wunscherfüllungen sind
längst allen Analytikern vertraut. (Vergiften = schwanger werden, ertränken = gebären, von einer
Höhe herabstürzen = niederkommen.)
[160] Vgl. ›Zeitgemäßes über Krieg und Tod‹ (1915 b).
[161] Vgl. Kriemhildes Bekenntnis im Nibelungenlied.
[162] Siehe A. Lipschütz (1919).
[163] Das Alter des Malers ist nirgends angegeben. Der Zusammenhang läßt einen Mann
zwischen 30 und 40, wahrscheinlich der unteren Grenze näher, erraten. Er verstarb, wie wir hören
werden, im Jahre 1700.
[164] Die Möglichkeit, daß diese Fragestellung dem Leidenden die Phantasie seines
Teufelspaktes eingegeben, »suggeriert« hat, sei hier nur gestreift.
[165] quorum et finis 24 mensis hujus futurus appropinquat.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin