Page - 2736 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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wird selbst nicht gesehen. Vgl. die bekannte Geschichte des Boccaccio und ähnliche Schnurren.
Die Wölfe. Ihre Zahl: sechs oder sieben. In der Wolfsgeschichte ist es ein Rudel ohne angegebene
Zahl. Die Zahlbestimmung zeigt den Einfluß des Märchens von den sieben Geißlein, von denen
sechs gefressen werden. Die Ersetzung der Zweizahl in der Urszene durch eine Mehrzahl, welche
in der Urszene absurd wäre, ist dem Widerstand als Entstellungsmittel willkommen. In der zum
Traum gefertigten Zeichnung hat der Träumer die 5 zum Ausdruck gebracht, die wahrscheinlich
die Angabe: es war Nacht, korrigiert.
Sie sitzen auf dem Baum. Sie ersetzen zunächst die am Baum hängenden Weihnachtsgeschenke.
Sie sind aber auch auf den Baum versetzt, weil das heißen kann, sie schauen. In der Geschichte
des Großvaters lagern sie unten um den Baum. Ihr Verhältnis zum Baum ist also im Traum
umgekehrt worden, woraus zu schließen ist, daß im Trauminhalt noch andere Umkehrungen des
latenten Materials vorkommen. Sie schauen ihn mit gespannter Aufmerksamkeit an. Dieser Zug
ist ganz aus der Urszene, auf Kosten einer totalen Verkehrung in den Traum gekommen. Sie sind
ganz weiß. Dieser an sich unwesentliche, in der Erzählung des Träumers stark betonte Zug
verdankt seine Intensität einer ausgiebigen Verschmelzung von Elementen aus allen Schichten
des Materials, und vereinigt dann nebensächliche Details der anderen Traumquellen mit einem
bedeutsameren Stück der Urszene. Diese letztere Determinierung entstammt wohl der Weiße der
Bett- und Leibwäsche der Eltern, dazu das Weiß der Schafherden, der Schäferhunde als
Anspielung auf seine Sexualforschungen an Tieren, das Weiß in den Märchen von den sieben
Geißlein, in dem die Mutter an der Weiße ihrer Hand erkannt wird. Wir werden später die weiße
Wäsche auch als Todesandeutung verstehen.
Sie sitzen regungslos da. Hiemit wird dem auffälligsten Inhalt der beobachteten Szene
widersprochen; der Bewegtheit, welche durch die Stellung, zu der sie führt, die Verbindung
zwischen Urszene und Wolfsgeschichte herstellt.
Sie haben Schwänze wie Füchse. Dies soll einem Ergebnis widersprechen, welches aus der
Einwirkung der Urszene auf die Wolfsgeschichte gewonnen wurde und als der wichtigste Schluß
der Sexualforschung anzuerkennen ist: Es gibt also wirklich eine Kastration. Der Schreck, mit
dem dies Denkergebnis aufgenommen wird, bricht sich endlich im Traume Bahn und erzeugt
dessen Schluß.
Die Angst, von den Wölfen aufgefressen zu werden. Sie erschien dem Träumer als nicht durch den
Trauminhalt motiviert. Er sagte, ich hätte mich nicht fürchten müssen, denn die Wölfe sahen eher
aus wie Füchse oder Hunde, sie fuhren auch nicht auf mich los, wie um mich zu beißen, sondern
waren sehr ruhig und gar nicht schrecklich. Wir erkennen, daß die Traumarbeit sich eine Weile
bemüht hat, die peinlichen Inhalte durch Verwandlung ins Gegenteil unschädlich zu machen. (Sie
bewegen sich nicht, sie haben ja die schönsten Schwänze.) Bis endlich dieses Mittel versagt und
die Angst losbricht. Sie findet ihren Ausdruck mit Hilfe des Märchens, in dem die
Geißlein-Kinder vom Wolf-Vater gefressen werden. Möglicherweise hat dieser Märcheninhalt
selbst an scherzhafte Drohungen des Vaters, wenn er mit dem Kinde spielte, erinnert, so daß die
Angst, vom Wolf gefressen zu werden, ebensowohl Reminiszenz wie Verschiebungsersatz sein
könnte.
Die Wunschmotive dieses Traumes sind handgreifliche; zu den oberflächlichen Tageswünschen,
Weihnachten mit seinen Geschenken möge schon da sein (Ungeduldstraum), gesellt sich der
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin