Page - 2737 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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tiefere, um diese Zeit permanente Wunsch nach der Sexualbefriedigung durch den Vater, der sich
zunächst durch den Wunsch, das wiederzusehen, was damals so fesselnd war, ersetzt. Dann
verläuft der psychische Vorgang von der Erfüllung dieses Wunsches in der heraufbeschworenen
Urszene bis zu der jetzt unvermeidlich gewordenen Ablehnung des Wunsches und der
Verdrängung.
Die Breite und Ausführlichkeit der Darstellung, zu der ich durch das Bemühen genötigt bin, dem
Leser irgendein Äquivalent für die Beweiskraft einer selbstdurchgeführten Analyse zu bieten,
mag ihn gleichzeitig davon abbringen, die Publikation von Analysen zu verlangen, die sich über
mehrere Jahre erstreckt haben.
[88] Der Aussage des Patienten tragen wir vielleicht am ehesten Rechnung, wenn wir annehmen,
daß der Gegenstand seiner Beobachtung zuerst ein Koitus in normaler Stellung gewesen ist, der
den Eindruck eines sadistischen Aktes erwecken muß. Erst nach diesem sei die Stellung
gewechselt worden, so daß er Gelegenheit zu anderen Beobachtungen und Urteilen gewann.
Allein diese Annahme ist nicht gesichert worden, scheint mir auch nicht unentbehrlich. Wir
wollen über die abkürzende Darstellung des Textes die wirkliche Situation nicht außer Auge
lassen, daß der Analysierte im Alter nach 25 Jahren Eindrücken und Regungen aus seinem
vierten Jahr Worte verleiht, die er damals nicht gefunden hätte. Vernachlässigt man diese
Bemerkung, so kann man es leicht komisch und unglaubwürdig finden, daß ein vierjähriges Kind
solcher fachlicher Urteile und gelehrter Gedanken fähig sein sollte. Es ist dies einfach ein zweiter
Fall von Nachträglichkeit. Das Kind empfängt mit 1½ Jahren einen Eindruck, auf den es nicht
genügend reagieren kann, versteht ihn erst, wird von ihm ergriffen bei der Wiederbelebung des
Eindrucks mit vier Jahren, und kann erst zwei Dezennien später in der Analyse mit bewußter
Denktätigkeit erfassen, was damals in ihm vorgegangen. Der Analysierte setzt sich dann mit
Recht über die drei Zeitphasen hinweg und setzt sein gegenwärtiges Ich in die längstvergangene
Situation ein. Wir folgen ihm darin, denn bei korrekter Selbstbeobachtung und Deutung muß der
Effekt so ausfallen, als ob man die Distanz zwischen der zweiten und der dritten Zeitphase
vernachlässigen könnte. Auch haben wir kein anderes Mittel, die Vorgänge in der zweiten Phase
zu beschreiben.
[89] Wie er sich mit diesem Anteil des Problems weiter auseinandersetzte, werden wir später bei
der Verfolgung seiner Analerotik erfahren.
[90] Wie frühzeitig ich mich mit diesem Problem beschäftigt habe, mag eine Stelle aus der ersten
Auflage meiner Traumdeutung (1900 a) beweisen. Dort heißt es S. 126 zur Analyse der in einem
Traum vorkommenden Rede: Das ist nicht mehr zu haben, diese Rede stammt von mir selbst; ich
hatte ihr einige Tage vorher erklärt, »daß die ältesten Kindererlebnisse nicht mehr als solche zu
haben sind, sondern durch ›Übertragungen‹ und Träume in der Analyse ersetzt werden.«
[91] Der Mechanismus des Traumes kann nicht beeinflußt werden, aber das Traummaterial läßt
sich partiell kommandieren.
[92] Ich ziehe aus guten Gründen vor zu sagen: Die Abwendung der Libido von den aktuellen
Konflikten.
[93] Ich machte auch wiederholt den Versuch, die Geschichte des Kranken wenigstens um ein
Jahr vorzuschieben, also die Verführung auf 4¼ Jahre, den Traum auf den fünften Geburtstag
usw. zu verlegen. An den Intervallen war ja nichts zu gewinnen, allein der Patient blieb auch
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin