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der Gegner hingewiesen hat. (Siehe Traumdeutung, I. Auflage, S. 49, und ›Bemerkungen über
einen Fall von Zwangsneurose‹. Wenn ich dennoch die schwierigere und unwahrscheinlichere
Auffassung als die meinige festgehalten habe, so geschah es mit Argumenten, wie sie der hier
beschriebene Fall oder jede andere infantile Neurose dem Untersucher aufdrängen und die ich
jetzt neuerdings den Lesern zur Entscheidung vorlege.
[122] Die Gruschaszene war, wie erwähnt, eine spontane Erinnerungsleistung des Patienten, an
welcher eine Konstruktion oder Anregung des Arztes keinen Anteil hatte; die Lücke in ihr wurde
von der Analyse in einer Weise ausgefüllt, die tadellos genannt werden muß, wenn man auf die
Arbeitsweise der Analyse überhaupt Wert legt. Eine rationalistische Aufklärung dieser Phobie
könnte nur sagen: Es sei nichts Ungewöhnliches, daß ein zur Ängstlichkeit disponiertes Kind
auch einmal vor einem gelbstreifigen Schmetterling einen Angstanfall bekomme, wahrscheinlich
infolge einer ererbten Angstneigung. (Vgl. Stanley Hall, ›A Synthetic Genetic Study of Fear‹,
1914). In Unwissenheit dieser Ursache suche es nun nach einer Kindheitsanknüpfung für diese
Angst und benütze den Zufall der Namensgleichheit und der Wiederkehr der Streifen, um sich die
Phantasie eines Abenteuers mit dem noch erinnerten Kindermädchen zu konstruieren. Wenn aber
die Nebensachen der an sich harmlosen Begebenheit, Aufwaschen, Kübel, Besen im späteren
Leben die Macht zeigen, dauernd und zwanghaft die Objektwahl des Menschen zu bestimmen, so
fällt der Schmetterlingsphobie eine unbegreifliche Bedeutung zu. Der Sachverhalt wird
mindestens ebenso merkwürdig wie der von mir behauptete, und der Gewinn aus der
rationalistischen Auffassung dieser Szenen ist zerronnen. Die Gruschaszene wird uns also
besonders wertvoll, da wir an ihr unser Urteil über die minder gesicherte Urszene vorbereiten
können.
[123] ›Über neurotische Erkrankungstypen‹ (1912 c).
[124] Ich darf davon absehen, daß dies Verhalten erst zwei Dezennien später in Worte gefaßt
werden konnte, denn alle Wirkungen, die wir von der Szene ableiten, haben sich ja in Form von
Symptomen, Zwängen usw. bereits in der Kindheit und lange vor der Analyse geäußert. Dabei ist
es gleichgültig, ob man sie als Urszene oder als Urphantasie gelten lassen will.
[125] Von neuem muß ich betonen, daß diese Überlegungen müßig wären, wenn Traum und
Neurose nicht der Kindheitszeit selbst angehörten.
[126] Ich stelle hier nochmals die Chronologie der in dieser Geschichte erwähnten Begebenheiten
zusammen:
Geboren am Weihnachtstag.
1½ Jahre: Malaria. Beobachtung des Koitus der Eltern oder jenes Beisammenseins derselben, in
das er später die Koitusphantasie eintrug.
Kurz vor 2½ Jahren: Szene mit Gruscha.
2½ Jahre: Deckerinnerung an Abreise der Eltern mit Schwester. Sie zeigt ihn allein mit der Nanja
und verleugnet so Gruscha und Schwester.
Vor 3¼ Jahren: Klage der Mutter vor dem Arzt.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin