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dass die Abbildung → 17 /61 allein die Intensität der Notlage zeigt, aber deren Dauer
ausblendet. Eine Notlage mit Intervention und einem Rückgang der Todesrate kann
insgesamt zu einer höheren Gesamttodeszahl führen als eine Notlage ohne Interventi-
on mit gleichbleibender Intensität, die dafür aber früher endet.
ERKENNTNISSE ZUM SCHUTZ DER ZIVILBEVÖLKERUNG
Während die Erkenntnisse über die Erfolgsaussichten humanitärer militärischer In-
terventionen noch mager sind, ist die Forschung in einem Teilgebiet dieser Einsätze,
dem Schutz der Zivilbevölkerung durch Friedensoperationen in laufenden Konflikten,
schon weiter. Wie eine Analyse von VN-Einsätzen in Subsahara-Afrika zeigt, sinkt mit
steigender Zahl entsendeter Blauhelme und Polizeikräfte die Gewalt gegen die Zivilbe-
völkerung. Mit mehr bewaffnetem Personal kann die Friedensmission Zivilisten besser
abschirmen und reduziert so Anreize und Gelegenheiten zu Übergriffen (→ Hultman et
al. 2013). Laut einer anderen Studie sinkt das Ausmaß einseitiger Gewalt in innerstaat-
lichen Konflikten mit der Qualität der stationierten Blauhelme, gemessen an Rüstungs-
ausgaben pro Soldat. Gut ausgestattete und ausgebildete Friedenstruppen können dem-
nach stärker Gewalt abschrecken, auf größerer Fläche Präsenz zeigen und das Verhalten
der Konfliktparteien besser überwachen (→ Haass/Ansorg 2018). Das heißt nicht, dass
in jedem Falle großangelegte Militärinterventionen vorzuziehen sind, aber dass Größe
und Ausstattung einer Mission ihrem Mandat angemessen sein müssen.
VERSÄUMNISSE VON POLITIK UND FORSCHUNG
Die deutsche Politik hat es bislang versäumt, die Auslandseinsätze der Bundeswehr um-
fassend, vergleichend und ergebnisoffen zu evaluieren. Auch die Friedensforschung ist
der Frage nach den Wirkungen humanitärer militärischer Interventionen nicht konse-
quent genug nachgegangen. Auch wenn Erkenntnisse über die Bedingungen von Erfolg
und Misserfolg humanitärer Interventionen die politische Debatte nicht beenden werden,
ist es wichtig, dass politische Entscheidungen und der öffentliche Diskurs auf der Grund-
lage bestmöglichen Wissens stattfinden. In diesem Sinne sollten humanitäre militärische
Interventionen regelmäßig von unabhängigen Einrichtungen evaluiert werden.
1.3 ↙ Von der humanitären Intervention zur Schutzverantwortung
und dem Schutz von Zivilisten
In den 1990er Jahren war die Diskussion über internationale Verantwortung durch
die Kontroverse über humanitäre Interventionen geprägt, die 1999 mit der NATO-
Intervention im Kosovo ihren Höhepunkt fand. Inzwischen haben zwei andere Kon-
zepte an Bedeutung gewonnen: der Schutz von Zivilisten durch Friedensmissionen
(Protection of Civilians, PoC) und die internationale Schutzverantwortung (Responsi-
bility to Protect, R2P). Humanitäre militäri-
sche Interventionen
sollten evaluiert
werden 1
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friedensgutachten / 2020
Friedensgutachten 2020
Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Title
- Friedensgutachten 2020
- Subtitle
- Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5381-0
- Size
- 21.0 x 28.5 cm
- Pages
- 162
- Keywords
- Frieden, Bewaffnete Konflikte, Sicherheit, Internationale Politik, Entwicklungszusammenarbeit, Krieg, Gewalt, Politik, Konfliktforschung, Globalisierung, Politikwissenschaft
- Category
- Recht und Politik