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Die R2P ist damit enger gefasst als PoC, bezieht sich aber nicht nur auf bewaffnete
Konflikte, da ihre Präventionsagenda auch darauf abzielt, massiven Menschenrechts-
verletzungen in Friedenszeiten vorzubeugen. Anders als PoC sieht die R2P die Mög-
lichkeit vor, dass der VN-Sicherheitsrat ohne Zustimmung des betroffenen Staates
Zwangsmaßnahmen verhängt. PoC wird daher von vielen Staaten als ein weniger
„bedrohliches“ Konzept als die R2P angesehen, da das Gastland der Entsendung einer
Friedensmission zustimmen muss.
PoC-Mandate sind inzwischen fest etablierter Bestandteil der VN-Friedenssicherung:
Bei rund 90 % der seit Ende 1999 neu geschaffenen VN-Friedensmissionen mit mili-
tärischer Komponente ist der Schutz von Zivilisten Teil des Mandates. Dagegen bleibt
die R2P nicht zuletzt wegen der Libyen-Intervention 2011, die entgegen dem Mandat
zu einem Regime-Wechsel führte, umstritten. Die Debatte über die Umsetzung der
R2P bewegt sich immer weiter weg vom Thema der Intervention. Stattdessen bemü-
hen sich das VN-Sekretariat, Staaten und Nichtregierungsorganisationen, die die R2P
unterstützten, die Prävention von Massenverbrechen in den Fokus zu rücken (→ Hof-
mann/Suthanthiraraj 2019).
So wird in Resolutionen des Sicherheitsrats zwar auf die R2P verwiesen, doch in den
bislang 84 thematischen Resolutionen und denen zur Ländersituation mit Bezug zur
R2P (Stand Ende 2019) betonte der Sicherheitsrat meist die Schutzverantwortung des
Staates und bekräftigte dessen nationale Souveränität → 19 /64. Hinzu kommt, dass
der Sicherheitsrat auf Massenverbrechen wie in Syrien, im Jemen oder im Angesicht
der staatlich orchestrierten Gewalt gegen die Rohingya in Myanmar nur zögerlich re-
agiert oder gänzlich handlungsunfähig ist. Die R2P ist deshalb verschiedentlich schon
für wirkungslos oder gar tot erklärt worden.
VERSCHRÄNKUNG VON R2P UND SCHUTZ VON ZIVILISTEN
Dabei wird häufig die Rolle von VN-Friedensmissionen bei der Implementierung der
R2P in Post-Konflikt-Situationen übersehen. Seit Verabschiedung der R2P im Herbst
2005 finden sich in 40 % der in dieser Zeit verlängerten oder neu begonnenen Missi-
onen mit PoC-Mandat (sechs von 15) Bezüge auf die R2P in Resolutionen des VN-Si-
cherheitsrats.7 Tatsächlich greifen der Schutz von Zivilisten durch Friedensmissionen
und die R2P eng ineinander (→ Hunt/Sharland 2020).
Auf konzeptioneller Ebene gibt es ebenfalls eine zunehmende Verschränkung der
beiden Konzepte. So wurde 2009 in der Sicherheitsratsresolution 1894 die R2P als
zentral für den „Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten“ bezeichnet.
Die Initiatoren der Resolution, insbesondere das Vereinigte Königreich (der Penholder
im VN-Sicherheitsrat für PoC, → Friedensgutachten 2018), beabsichtigten, die R2P
konzeptionell zu stärken, indem sie sich auf die breitere Akzeptanz von PoC unter den Schutzverantwortung
bleibt umstrittenes
Konzept
friedensgutachten / 2020
Friedensgutachten 2020
Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Title
- Friedensgutachten 2020
- Subtitle
- Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5381-0
- Size
- 21.0 x 28.5 cm
- Pages
- 162
- Keywords
- Frieden, Bewaffnete Konflikte, Sicherheit, Internationale Politik, Entwicklungszusammenarbeit, Krieg, Gewalt, Politik, Konfliktforschung, Globalisierung, Politikwissenschaft
- Category
- Recht und Politik