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88 sich ihre Positionen nach einem erfolgreichen Regierungssturz ändern können. So
erfüllten viele der unterstützten Pro-Demokratiebewegungen nicht die in sie gesetz-
ten Hoffnungen (z.B. in der Ukraine nach den Euromaidan-Protesten). All dies muss
am Einzelfall geprüft werden, ebenso die Frage, ob die Förderung oppositioneller
Protestbewegungen eher zu einem friedlichen Wandel oder vielmehr zu Polarisie-
rung und Gewalteskalation beiträgt.
Anders verhält es sich mit den üblichen Treffen von Regierungsvertretern und zi-
vilgesellschaftlichen Akteuren, die Teil von Anti-Regime-Protestbewegungen sind.
Solche Treffen, die die diplomatischen Beziehungen zum jeweiligen Regime nicht
ersetzen, sind grundsätzlich legitim. Problematisch ist allerdings, wenn der Ein-
druck entsteht, dass solche Treffen primär als innenpolitisches Signal dienen – etwa
zur Befriedigung einer kritischen Öffentlichkeit angesichts einer ansonsten regime-
freundlichen Politik. So kam etwa Bundesaußenminister Heiko Maas am 9. Septem-
ber 2019 am Rande einer Veranstaltung im Deutschen Bundestag mit Joshua Wong
zusammen, dem wohl bekanntesten Menschenrechtsaktivisten aus Hongkong. Wie
sensibel derartige Treffen sind, zeigte die Reaktion der chinesischen Regierung, die
Maas einen „Akt der Respektlosigkeit“4 vorwarf und den deutschen Botschafter in
Beijing einbestellte.
Das Treffen von Heiko Maas mit Joshua Wong muss zugleich in einem weiteren Kon-
text gesehen werden. Denn insgesamt verfolgt die Bundesregierung bei den Protesten
in Hongkong die fünfte Strategie, eine Politik der Zurückhaltung. Sie betont, dass eine
friedliche Entwicklung in Hongkong unter dem Motto „Ein Land, zwei Systeme“ die
im Grundgesetz von Hongkong verankerten Rechte und Prinzipien achtet. Eine klare
Positionierung zugunsten der Demonstranten ist dabei mit Ausnahme des symboli-
schen Treffens im Deutschen Bundestag vermieden worden. Eine Politik der Zurück-
haltung kann deeskalierend wirken und Freiräume für Dialogbemühungen eröffnen.
Zugleich ist sie aber nicht zwangsläufig damit verbunden, sondern kann z.B. maßgeb-
lich auf Wirtschafts- und Handelsinteressen beruhen.
Schließlich ist eine in der Staatenwelt durchaus verbreitete Reaktion auf soziale Pro-
teste die Strategie der Regimestabilisierung, etwa durch Wirtschaftshilfen oder durch
die Unterstützung der Sicherheitskräfte. So versuchte etwa die Russische Föderation
2013/2014 (erfolglos), die Ukraine über das Versprechen großzügiger Wirtschaftshilfe
auf ihre Seite zu ziehen und die Regierung Yanukowytsch im Amt zu halten. De facto
findet zurzeit auch seitens des Westens eine derartige Regimestabilisierung gegenüber
Ägypten statt. Trotz massivster Menschenrechtsverletzungen in dem Land werden
mit Präsident al-Sisi enge diplomatische, wirtschaftliche und militärische Beziehun- Deutschland hat im
vergangenen Jahr
vor allem eine Politik
der Zurückhaltung
verfolgt
Viele externe Akteure
sind in erster Linie
an Regimestabilität
interessiert
2020 / Protestbewegungen, politische Umbrüche und Gewaltrisiken / NACHHALTIGER FRIEDEN
Friedensgutachten 2020
Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Title
- Friedensgutachten 2020
- Subtitle
- Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5381-0
- Size
- 21.0 x 28.5 cm
- Pages
- 162
- Keywords
- Frieden, Bewaffnete Konflikte, Sicherheit, Internationale Politik, Entwicklungszusammenarbeit, Krieg, Gewalt, Politik, Konfliktforschung, Globalisierung, Politikwissenschaft
- Category
- Recht und Politik