Page - 99 - in Frühe Brücken - Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
Image of the Page - 99 -
Text of the Page - 99 -
99
leBende Brücken
Von den ursprünglich dreizehn im Iya-Tal existierenden
Brücken ist die Kazurabashi-Hängebrücke die bekann-
teste und wohl auch eine der letzten, die überlebt hat.
Die Kazurabashi-Brücke ist 45 m lang und überspannt,
an der Brückenmitte gemessen, den Iya-Fluss in gut 10 m
Höhe über dem Fluss. Sie wird, wie schon beschrieben,
vor allem durch mehrere Bündel gedrehter, nicht mehr
lebender Weinranken auf beiden Seiten des Flusses
getragen. Damit die tragenden Bäume durch diese Last
nicht langsam in den Fluss gezogen werden, gibt es ein
ganzes System von ausgeklügelten Abspannungen auf
beiden Ufern. So werden auch die Bäume selbst zum
Hang des Tales wieder zurückgezogen, quasi zurück-
gehalten. Diese Bäume sind an diesen halblebenden
Brücken heute das einzig wirklich Lebende.
Heute sind aus Sicherheitsgründen unter den Geh-
flächen und in den über die Bäume gespannten Wein-
rebentauen außerdem zusätzlich dünne Stahlseile so
eingeflochten, dass sie von den Weinrebentauen zu-
gleich gut kaschiert sind. Durch die Befestigungen
der Hölzer mit den Ranken auf ihren tragenden Stahl-
kabeln sind die Stahlseile unter der Gehfläche kaum
wahrnehmbar. Aber auch die seit längerem ebenfalls
aus Sicherheitsgründen in die Weinrankentaue ein-
geschlossenen Stahlkabel sind quasi unsichtbar. - Ähn-
liche Sicherheitsmaßnahmen wurde auch bei vielen
Brücken in Nordwestindien in der Himalaya Region
Kaschmir schon vor rund 50 Jahren eingeführt.
Der wesentliche Unterschied zu den lebenden Brü-
cken in Nordostindien liegt im Konzept. Die japani-
schen halblebenden Brücken waren von Beginn an so
konzipiert, dass schon vor rund 800 Jahren ihre Lauf-
flächen aus Holzstäben bestanden, also aus einem
nicht mehr lebenden Baumaterial errichtet wurden.
Dadurch läuft in diesem Architekturdetail die Alterungs-
uhr jeder dieser Brücken. Die Laufebenen müssen also
immer wieder erneuert werden. Auch die über die seit-
lichen Bäume gespannten tragenden Weinrankentaue
der Brücken müssen immer wieder neu aus geernteten
Weinranken gedreht werden. Nur die seitlich stehen-
den, die Weinrankenkabel tragenden Bäume sind le-
bende Architekturelemente dieser japanischen Brücken.
Das unterscheidet sie wesentlich von den reinen, leben-
den Brücken nördlich von Bangladesch im Shillong-
Plateau, denn hier sind gewöhnlich ausnahmslos alle Bauelemente lebend und unterliegen daher über lange
Zeiträume nicht oder kaum der Alterung und Zersetzung.
Auch heute gibt es immer noch einige der japani-
schen “Weinbrücken“, die auf Grund ihrer besonderen
Konstruktionsweise vor einigen Jahren zum bedeutenden
Volksgut Japans erklärt wurden.
Frühe Brücken
Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Title
- Frühe Brücken
- Subtitle
- Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Author
- Hasso Hohmann
- Publisher
- Technische Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-833-2
- Size
- 20.0 x 27.0 cm
- Pages
- 306
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen