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Frühe Brücken
Es handelt sich also offensichtlich um die Reste der
zwei 1430 von Thangtong Gyalpo errichteten Brücken-
portale. Beim südöstlichen Portal sind auch oberhalb der
Straße die Ruinen des von ihm 1444 errichteten Klosters
Chagsam Chöri zu erkennen. Diese und die Portale der
Brücke sollten möglichst genau untersucht, dokumen-
tiert und die beiden Bauwerke zumindest zeichnerisch
detailiert rekonstruiert werden. Ein Teil des südöstlichen
Portals ist bereits durch eine zwischen Kloster und Por-
tal verlaufende Straße zerstört worden, sodass man hier
die südöstlichen Anker der zwei Ketten nicht mehr fin-
den wird. Die Messung aus dem Google Earth zeigt
zugleich, dass die Längenangabe von Wadell zutrifft,
nicht aber die von Pundit. Die Koordinaten des Brücken-
portals auf der Sandbank werden in Google-Earth mit
29°19’52.66“N und 90°41’26.57“O angegeben; die
Höhe beträgt 3595 m.
Das vom Autor in der planlichen Darstellung (Abb. 87)
auch quasi als Maßstab rechts neben der Brücke zeich-
nerisch angedeutete Kloster Chagsam Chöri müsste
nach der Identifizierung der Reste der Brücke und des
Klosters im Google Earth leicht zur Seite nach rechts
und nach oben verschoben werden. Das Kloster lag auf
einem eingeebneten Plateau rund 30 m höher und fast
50 m weiter südöstlich des südöstlichen Brückenportals.
Sollte man einmal die Reste des Klosters freilegen und
konsolidieren, sollte auch nach allfälligen Überresten
der einstigen Schmiede für die Ketten gesucht werden.
Die Kette bestand nach Angaben von Pundit aus etwa
33 cm langen und geschätzten 6 – 8 cm breiten Ketten-
gliedern. Die Stäbe, aus denen die jeweiligen Ketten-
glieder durch Schmieden hergestellt wurden, hatten
einen Querschnitt von 1 cm auf 2,5 cm und eine Länge
von geschätzten 80 cm. Danach hätte jedes Ketten-
glied etwa 1,57 kg gewogen. Thangtong Gyalpo
dürfte daher wohl die gesamte Kette an Ort und Stelle
aus vorbereiteten Eisenstäben in einer dafür errichteten
temporären Schmiede direkt bei der Brücke hergestellt
haben.
Eine Alternative wäre gewesen, gewisse Ketten-
abschnitte in Lhasa zu produzieren und diese dann mit
einem Yak-Karren zur Brücke bringen zu lassen, wo
sie dann endgültig hätten zusammengeschmiedet wer-
den müssen. Dazu wäre aber trotzdem eine funktions-
fähige Schmiede bei der Brücke zusätzlich notwendig gewesen. Vielleicht wurde aus dem Gebäude, in dem
Thangtong Gyalpo bei der Brücke während ihres Baues
die Kette schmiedete und in dem er auch wohnte, der
erste Abschnitt des späteren Klosters Chaksam Chöri.
Bei einer Spannweite von 137 m und einem Durch-
hang von etwa 5 m sowie 4 m für die Abspannungen
auf der Südseite und 9 m für die Abspannungen auf
der Nordseite kommt man auf eine Gesamtketten-
länge pro Seite von etwa 161 m. Da die Kettenglieder
ohne Überlappung 30 cm lang sind, ergibt das 537
einzelne Kettenglieder für eine Seite der Brücke. Man
kann also mit etwa 1074 Kettengliedern für beide Ket-
ten rechnen. Das bedeutet, dass mindestens 1686 kg
an Eisenstangen direkt zur Brücke zu Thangtong Gy-
alpo‘s Schmiede oder an geschmiedeten oder halb-
geschmiedeten Kettengliedern aus einer Schmiede in
Lhasa über 65 km mit von Yaks gezogenen Fuhrwerken
auf zweifelhaften Wegen zur Brücke transportiert wer-
den mussten. Außerdem mussten die zwei hohen Unter-
bauten für den hoch gelegenen Brückenantritt und die
zwei Brückenportale errichtet werden. Der Unterbau
unter den Portalen reichte nach Angaben von Pun-
dit etwa 7,50 m über Normalwasserstand des Flus-
ses. Mit Hilfe der Brücke konnte man allerdings nur bei
Normalwasserstand über die Brücke nach Lhasa ge-
langen, denn bei Hochwasser war eine Strecke von
etwas mehr als einem halben Kilometer vom Fluss zu-
sätzlich hoch überflutet. In diesen Zeitabschnitten dürf-
te es jährlich für die Brückenbenutzer einen zusätzlichen
Fährverkehr gegeben haben.
Woher Thangtong Gyalpo sein Roheisen im frühen 15.
Jh. für seine Schmiedearbeiten bezog, ist wohl nicht
bekannt. Da berichtet wird, dass seine Schmiedeeisen-
ketten nicht rosteten, wäre die Herkunft des Materials
vielleicht auch heute noch von Interesse. Damals gab
es noch keine Lastkraftwagen und somit einen erheb-
lichen Transportwiderstand. Die schweren Roheisen-
lupen mussten möglicherweise über große Strecken
auf engen Pfaden und über unsichere Hängebrücken
im gebirgigen Gelände transportiert werden.
1950 trugen die Chinesen die Reste der alten Ketten-
brücke, sowie die zwei langen Ketten ab. Stattdessen
errichteten sie eine neue Stahlbetonbrücke, die deutlich
länger und hochwassersicher sein dürfte und vor allem
auch mit Kraftfahrzeugen befahren werden kann. 1966
Frühe Brücken
Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Title
- Frühe Brücken
- Subtitle
- Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Author
- Hasso Hohmann
- Publisher
- Technische Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-833-2
- Size
- 20.0 x 27.0 cm
- Pages
- 306
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen