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Frühe Brücken
Hängebrücken
Grundsätzlich kann man nicht einmal theoretisch ein
Seil, das immer ein gewisses Eigengewicht aufweist,
perfekt horizontal spannen, also so spannen, dass es
geometrisch geradlinig von der einen zur anderen Seite
einer Schlucht eine gerade Linie ergibt. Die notwendige
horizontale Spannkraft an den zwei Ankerstellen steigt
exponentiell mit der Annäherung an die Geradlinigkeit
und steigert sich am Ende ins Unendliche.
Nun sind die Taue der traditionellen Hängebrücken
auch für sich relativ schwer, so dass sie nach ihrer Her-
stellung bereits jeweils von vielen Personen zur Stelle
ihres Einsatzes getragen werden müssen. Umgekehrt
lässt sich die notwendige Spannkraft auch deutlich re-
duzieren, je stärker das Seil durchhängt. Da aber kaum
jemand über eine Brücke gehen will, bei der er zu-
nächst steil hinabsteigen muss, um nach Überschreiten
ihrer Mitte wieder steil hinaufklettern zu müssen, konstru-
ierte man wohl bereits seit Menschengedenken Hänge-
brücken aus pflanzlichen Fasern mit einer moderaten
Durchhängung.
Eine Trennung in Tragseile und angehängte Lauffläche,
die dann tatsächlich hätte gerade oder sogar leicht
nach oben bombiert verlaufen können, war zunächst
schon deshalb nicht möglich, weil das Eigengewicht
der traditionellen Taue so hoch war, dass man bei grö-
ßeren Spannweiten die Nutzlasten hätte immer wei-
ter reduzieren müssen. Die Nutzlast setzte sich aus
den Passanten, den mitgeführten Traglasten und ge-
gebenenfalls aus den Transporttieren, wie Esel im Hi-
malaya oder Lamas in den hohen Anden, und deren
Traglasten zusammen.
Daher verliefen bei den frühen Hängebrücken die Lauf-
flächen samt deren tragenden Tauen und die “Hand-
lauftaue“ rechts und links quasi parallel durchhängend
in nahezu gleichem Abstand zueinander. Alle frühen auf
Zug beanspruchbaren Materialien wie Gras oder an-
dere härtere Pflanzenfasern waren unvergleichlich viel
kurzlebiger als druckbeanspruchbare Baumaterialien,
wie Stein, Holz oder Gusseisen. Daher mussten be-
sonders bei den sehr frühen Hängebrücken die Trag-
seile schon nach einer relativ kurzen Zeit wieder gegen
neue ausgetauscht werden, womit zugleich die ge-
samte Brücke erneuert werden musste. Bei einigen Materialien war die Lebensdauer mit nur einem bis zu
drei Jahren begrenzt.
Bei den wirklich sehr langen modernen Stahlkabel-
hängebrücken mit ihren angehängten Fahrbahnen, die
ja auch theoretisch völlig gerade im geometrischen Sinn
verlaufen könnten, käme die Nutzfläche in der Mitte
bereits auf Grund der gekrümmten Wasseroberfläche
den Schiffen messbar etwas näher als bei den Pylonen,
da die Brücke die Erdkrümmung nicht automatisch mit-
macht. Sehr viele dieser Brücken haben allerdings eine
leichte Bombierung, so dass die Mitte solcher Brücken
eher noch weiter von der Wasseroberfläche entfernt ist.
Außerdem spielt sich das Phänomen der Erdkrümmung
bei einer freien Spannweite von zwei Kilometern im
Zentimeterbereich ab.
Die Hängebrückenbeispiele in dieser Zusammenstellung
zeigen zum einen, wie sich die zugbeanspruchten Brü-
cken in drei großen Schritten weiterentwickelt haben.
Zuerst mussten die Brücken aus schnell vergänglichen
Materialen in jenen Gebieten, in denen sie unbedingt
gebraucht wurden, entwickelt werden. Dann kamen vor
etwa 2000 Jahren die Kettenbrücken in China auf, die
sich vor allem in Asien dort durchsetzten, wo man sie
sich leisten konnte oder dringend brauchte. Dann war
es der französische Erfinder und Brückenbauer Marc
Seguin, der 1823 zwei 33 m lange Hängebrücken in
Genf, die von zwei mal 90 knapp 2 mm dünnen paral-
lel gelegten Eisendrähten getragen wurden. Knapp da-
nach baute Joseph Chaley zwei weitere sehr viel weiter
gespannte, extrem leicht wirkende Hängebrücken aus
Schmiedeeisendrähten in Freiburg in der Schweiz. Aus
diesen Pionierleistungen entwickelten sich dann rund
um den Globus die immer länger und immer größer
werdenden Stahlseilbrücken.
Konstruktive Denkschemata
Zunächst war es die sehr niedrige Lebensdauer, die ein
Problem bei den Hängebrücken darstellte. Die Ketten-
brücken lösten dieses Problem und setzten sich zu-
nächst nur dort durch, wo ihnen durch das Denken in
zugbeanspruchten Konstruktionen bei der Bevölkerung
bereits im Vorfeld im östlichen Asien der Boden bereitet
war. In Europa waren Hängebrücken durch die Berichte
von Reisenden schon seit vielen Jahrhunderten bekannt,
konnten sich aber bis ins 19. Jh. nicht durchsetzen, weil
Frühe Brücken
Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Title
- Frühe Brücken
- Subtitle
- Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Author
- Hasso Hohmann
- Publisher
- Technische Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-833-2
- Size
- 20.0 x 27.0 cm
- Pages
- 306
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen