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nAchWort
Neben dem oben bereits besprochenen Denken in
zugbeanspruchten Konstruktionen könnte ein weiterer
Grund im Verhalten echter Gewölbe und Bögen bei
Erdbeben zu suchen sein. Das Kollabieren von Tonnen-
gewölben bei starken Erdstößen ist oft verheerender als
das bei Scheingewölben. Letztere können sich wieder
einpendeln oder es bleibt wenigstens noch eine Hälfte
des Gewölbes stehen. Das könnte ein weiterer Grund
gewesen sein.
Wahrscheinlicher aber dürfte es daran liegen, dass die
Kulturen entlang der tertiären Auffaltungen im Westen
der beiden amerikanischen Subkontinente und das sich
hier entwickelte Denken in zugbeanspruchten Konst-
ruktionen zu stark ausgeprägt war. Ähnlich wie auch
im Himalaya-Gebirge und dessen Randzonen, wo das
echte Gewölbe und der Schlusssteinbogen ebenfalls
kaum eine Chance, sich durchzusetzen, hatten. In bei-
den Fällen handelt es sich um Zonen, in denen sehr
viele Techniken des täglichen Lebens und so auch in
der Architektur zugbeansprucht waren, Zonen, in denen
das Denken in zugbeanspruchten Konstruktionen sehr
stark verhaftet war.
Echte Schlusssteinbögen sind aber ebenfalls in ihrer Di-
mension meist mit etwa 40 m begrenzt. Auch hier er-
möglichte erst der Einzug von Gusseisen, Eisen und
Stahl in die Druckbogenkonstruktionen eine deutliche
Vergrößerung der Spannweiten. Insbesondere die von
weitem meist sehr zart wirkenden Fachwerkbögen er-
laubten bald Spannweiten von 160 m und mehr, wie
bei der von Gustave Eiffel geplanten Ponte Maria Pia
im portugiesischen Porto aus dem Jahr 1877.
Stahlbetonbrücken
Bei den Stahlbetonbrücken brachte das 20. Jh. und be-
sonders Santiago Calatrava etliche sehr gut designte
Brücken hervor. Der Stahlbeton hat jedoch den mar-
kanten Nachteil, dass auch er eine relativ kurze Lebens-
dauer hat, da spätestens dann, wenn durch feine und
feinste Haarrisse im Beton Feuchtigkeit bis an die Stahl-
einlagen gelangt, bei diesen ein Korrosionsprozess ein-
setzt. Rost braucht deutlich mehr Volumen als nicht oxy-
diertes Eisen. So ist es nur eine Frage der Zeit, ab wann
die Betonüberdeckung der Stahleinlagen im Stahlbeton
durch den sich ausdehnenden Rost abgesprengt wird
und eine Brücke massiv an Tragfähigkeit verliert und daher abgetragen werden muss. Etliche Betonbrücken
mussten schon nach weniger als 50 Jahren erneuert
werden. Auch die Spannweiten liegen bei Stahlbeton-
brücken nicht extrem hoch. Die meisten Stahlbeton-
brücken sind einfache Balkenbrücken. Daher wurden
nur die weitgehend aus Beton konstruierte sehr schöne
Brücke von Calatrava im spanischen Mérida und die
“General Rafael Urdaneta Brücke“ von Riccardo Mo-
randi in Venezuela in diese Arbeit aufgenommen. Die
zweite Morandi Brücke in Genua ist 2018 nach 51 Jah-
ren spektakulär eingestürzt. Die dritte und jüngste Mo-
randi Brücke in Libyen hat im wüstenhaften trockenen
Klima vielleicht die beste Aussicht auf eine etwas hö-
here Lebenserwartung.
Was die Spannweiten von Brücken betrifft, so sind
heute die stählernen Hängebrücken mit ihren zwei Kilo-
meter weit frei gespannten Mittelteilen der Brücken-
typus, der alle anderen Konstruktionsweisen weit hin-
ter sich gelassen hat. Aber es kommt nicht alleine auf
Spannweiten an. Brücken sollten natürlich ästhetisch
sein und innovativ.
Aber Brücken dürfen nicht nur für Menschen gebaut
werden, die von einem Ende zum anderen gelangen
wollen – Brücken müssen auch zwischen den Men-
schen mental gebaut werden. Dieser mentale Brücken-
bau ist heute notwendiger, als so vieles andere. Auf
dem Gebiet des mentalen Brückenbaues ist jedenfalls
noch sehr viel zu tun.
Mentaler Brückenbau
Sobald selbstverliebte, arrogante, egomanische oder
skrupellose Personen zu politischen Vertretern von Staa-
ten werden und ihre Macht dazu missbrauchen, Brücken
zwischen Volksgruppen und Glaubensgemeinschaften,
zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe ein-
zureißen, die Gesellschaft, die Staaten, die Staaten-
gemeinschaften zu spalten, Menschen gegeneinander
aufzuwiegeln, andere Staaten, andere Ethnien abzu-
werten, schlecht zu machen, ist die Alarmstufe Rot er-
reicht und der nächste Konflikt nicht mehr weit. Wir brau-
chen daher viel mehr Brückenbauer, viele Ausgleicher,
Zusammenführer mit Überblick.
Frühe Brücken
Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Title
- Frühe Brücken
- Subtitle
- Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Author
- Hasso Hohmann
- Publisher
- Technische Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-833-2
- Size
- 20.0 x 27.0 cm
- Pages
- 306
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen