Page - 11 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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11 Das Biotop, in dem die Praxis „Generative Bildarbeit“ in zahlreichen Workshops
von Angola bis Pakistan ihren Anfang nahm, ist der von Vera Brandner initi-
ierte Verein ipsum, der Fotografie als Medium in der entwicklungspolitischen
und interkulturellen Bildungsarbeit einsetzt. An der Leuphana bei Ulli Vilsmaier,
mit Unterstützung von Franz Breuer, konnte Vera Brandner „Generative Bild-
arbeit“ weiterentwickeln. Nun liegt mit diesem Buch ein von ihr höchst reflexiv
und selbstreflexiv verfasstes Werk als reife Frucht jahrelanger Arbeit vor, das
angesichts der vielen einbezogenen Fäden unterschiedlicher Fachdiskurse
einem feingliederigen Textil gleicht.
Die Arbeit ist fĂĽr mich auch ein faszinierendes biografisches Dokument
forschenden Lernens und lernenden Forschens, sorgsamen Nachdenkens.
Während Pierre Bourdieu am Ende seines Lebens im praxeologischen Selbst-
versuch eine Art reflexive Wissenschaftsbiografie präsentiert, legt Vera Brandner
einen solchen am Beginn ihrer Arbeit als Wissenschaftlerin vor. In den Szenen
relevanter Lebensorte und Arbeitsorte werden sich erschlieĂźende wissenschaft-
liche Diskurse erkennbar und wie fĂĽr die Arbeit zentrale Autoren (besonders
Paulo Freire und Roland Barthes) Bedeutung erlangt haben. So wird die Autorin
persönlich als lernende Forscherin und als forschende Lernende facettenreich
verstehbar sowie ihre wissenschaftliche Verortung nachvoll
ziehbar. Ein sol-
cher Selbstversuch ist in höchstem Maße riskant. Das Risiko besteht allein
schon in der damit verbundenen Transparenz als Person, durch die sie sich als
Wissenschaftlerin angreifbar und verletzbar macht. Ein solcher Selbstversuch
ist auch riskant, weil er leicht in die Falle der Selbstbespiegelung gehen oder
mit einer legitimierenden Attitude versehen sein kann. Dass Vera Brandner all
diesen Fallen entgeht, verdankt sie ihrem Profil als Person und Wissenschaft-
lerin. Selbstreflexion löst sich hier nicht in narzisstischer Beliebigkeit auf,
sondern macht intersubjektiv nachvollziehbar, wie wichtig und ertragreich es
fĂĽr die Forschung sein kann, wenn Forschende ihre viel
seitige Involvierung
in den Forschungsprozess eigens zum Thema machen und ĂĽber diesen damit
auch Rechenschaft ablegen. Hierin leistet die Autorin einen weit ĂĽber das
Thema „Generative Bildarbeit“ hinausgehenden Beitrag.
Es ist gerade in transdisziplinären Forschungsprojekten wichtig, dass
Forschende sich als bleibend Lernende erkennbar machen, Kontexte, die zu
Lernanlässen geworden sind, benennen und die Ergebnisse beschreiben —
denn kritische Forschung kann nur von (selbst-)kritischen und somit (selbst-)
reflexiven Forschenden betrieben werden.
Ich danke Vera Brandner fĂĽr ihre inspirierende Arbeit.
Martin Jäggle
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien