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von gemeinsamen Standards in Einklang zu bringen (Clark/Dickson 2003).
Meine Forschungsarbeit baut auf der These auf, dass die Fotografie in diesen
inter- und transdisziplinären Forschungsfeldern dem gemeinsamen Lernen
und Forschen dienen kann, da sie von einer gewissen Undiszipliniertheit
(Mitchell 2008) geprägt ist und deshalb für viele Menschen — egal woher sie
kommen, welchen lebensweltlichen oder disziplinären Hintergrund sie mit-
bringen — leicht zugänglich und nutzbar ist. In unreflektierter Form kann
die Fotografie einerseits als Medium fĂĽr das multikulturelle Produzieren und
Reproduzieren von kulturellen Universalkategorien missbraucht werden.
Wird sie jedoch weniger als ein rein Abbild-gebendes Verfahren, sondern als
Praxisform (Freire 1978) betrachtet, kann sie dazu dienen, kulturelle Differenz
sichtbar und verhandelbar zu machen. Die Fotografie lässt sozusagen ein For-
schen zu, das von den beteiligten und betroffenen Menschen prozesshaft und
partizipativ betrieben werden kann. So können die spezifischen lebenswelt-
lichen Verhältnisse der Beteiligten in den Fokus gelangen. Dadurch wird ein
transdisziplinärer Forschungsbegriff relevant, der auf dem Konzept transÂ
formativer Forschung basiert (Klein et al. 2001; WBGU 2011; Vilsmaier/Lang
2014). Forschen und Lernen gehen dabei Hand in Hand und werden gleich-
sam als Erkenntnis- und Transformationsprozesse betrachtet.
Auf diesem Zusammenhang beruht der methodologische Rahmen
Generative Bildarbeit, den ich konzipiert, erprobt und konsolidiert habe.
Verschiedene Aspekte fotografisch-visueller Methoden werden mit postkolo-
nialer, fotokritischer und emanzipatorischer Theorienbildung verschränkt.
Konzeptuelle und praktische Basisarbeit fĂĽr die Entwicklung Generativer
Bildarbeit wurde in der Arbeit des Vereins ipsum1 zwischen 2003 und 2010 in
Angola, Pakistan, Afghanistan, Israel, Palästina und Österreich geleistet. Es
geht dabei darum, die verschiedenen Blickakte, die im fotografischen Geflecht
möglich sind, zu systematisieren, um sie als dialogische Praxisform für das
Arbeiten mit Menschen verschiedener Erkenntniskulturen nutzbar zu
machen. Die Fotografie wird dabei in Situationen eingesetzt, in denen die
beteiligten Akteur_innen einander aufgrund ihrer unterschiedlichen Her-
kunft, Sozialisierung und Spezialisierung fremd sind, durch geteilte Problem-
stellungen jedoch miteinander in Verbindung stehen. Es geht bei Generativer
Bildarbeit um ein Arbeiten an den Grenzen des Eigenen und des Anderen,
wobei diese Problemstellungen zugänglich, beforschbar und transformierbar
gemacht werden sollen. Das Einander-Fremdsein wird durch das Fotografie-
ren und das Sprechen ĂĽber die eigenen Bilder und jene der Anderen zum
Thema; Selbst- und Fremdbilder werden — in ihrer Eigenschaft, auf jene kul-
turellen Differenzen zu verweisen, die es fĂĽr ein gemeinsames Fortkommen
unbedingt zu beachten gilt — aufgearbeitet. Dabei wird mit und an Bildern,
aus Bildern heraus und schlieĂźlich auch ĂĽber Bilder gearbeitet. Auf diese Weise
ermöglicht die Fotografie als vertrautes Medium, dass neue Weisen des Sehens,
Wahrnehmens, Erfahrens und Erkennens im Gruppenprozess erschlossen
werden. Die Fotografie wird selbst zum Ăśbungs- und Forschungsfeld fĂĽr den
Umgang mit kultureller Differenz. Der Arbeitstitel „Die Bilder der Anderen
1 Siehe: www.ipsum.at
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien