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Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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46 ich so noch nicht erfahren hatte. Warum war mir Martha nicht vorgestellt worden? Warum saß sie nicht mit uns am Tisch? Warum sollte ich ihr nicht die Hand geben? FĂŒr mich war neu, dass Ausgrenzung so nah, innerhalb der eigenen vier WĂ€nde, mitten im Zuhause einer Familie stattfand. Weder begriff ich das Regelwerk des Apartheidsystems, dem die Vorgaben zum Umgang mit schwarzen Bediensteten in dieser Situation wohl entstammten, noch war ich in der Lage, es zu hinterfragen bzw. es zu unterlaufen. 2.1.4 IN LAHORE Einige Jahre spĂ€ter fĂŒhrte mich eine Reise nach Pakistan. In Lahore lernte ich Ghulam kennen. Er nahm mich, meinen Freund Erik und unseren Kollegen Kurt wĂ€hrend unseres ersten ipsum-Projektes in seinem Haus auf. Ich entsprach ganz und gar nicht dem Frauenbild, das er gewohnt war. Er band uns dennoch in sein soziales Umfeld ein. Wenn wir nicht gerade arbeiteten, hatten wir großen Anteil an seinem Leben. Wir verbrachten lange NĂ€chte mit ihm an sei- nem Straßenstand, an manchen Tagen zeigte er uns seine LieblingsplĂ€tze in der Stadt, mit ihm konnten wir viel entdecken, gemeinsam lachen, diskutieren, auch streiten. FrĂŒher einmal, so erzĂ€hlte er, habe er in Afghanistan gegen die Russen gekĂ€mpft. Zu dieser Zeit sei sein Leben vom Kampf und vom Training fĂŒr eine Sache geprĂ€gt gewesen, die er „Befreiung“ nannte. SpĂ€ter habe er sich entschieden, ein Leben zu fĂŒhren, wie es einem guten Muslim entspreche — regelmĂ€ĂŸiger Besuch in der Moschee, fĂŒnf Gebete am Tag, Almosen fĂŒr die Armen, pilgern und fasten. Nach einer Woche in seinem Haus nahm er mich zur Seite, um mir zu erklĂ€ren, dass ich ab sofort keine Fremde mehr sei. Es wĂ€re nicht passend, eine fremde Frau zu beherbergen, und er habe sich fĂŒr dieses Problem schon etwas ĂŒberlegt: Ab sofort sei ich seine Schwester. Ich war damit einverstanden und machte auch gerne regelmĂ€ĂŸige Pflichtbesuche bei den Frauen der Familie. Ich hatte nun die Verpflichtung, nicht nur Gast zu sein, sondern ein wenig mehr. Die regelmĂ€ĂŸigen Besuche bei meinen Leihschwestern und meiner Leihmutter gaben mir neue Einblicke in das hĂ€usliche Leben, waren doch die RĂ€ume der Frauen getrennt von den offenen RĂ€umen, die Ghulam bewohnte. Wenn ich an das große Eisengatter klopfte, um die Frauen zu besuchen, öffnete mir ein kleines MĂ€dchen. Die ersten Male dachte ich, Mehreen sei eine Ver- wandte auf Besuch. Jedoch je öfter ich kam, desto seltsamer erschien mir die Situation, in der sich das MĂ€dchen befand. Einmal hörte ich von meinem Zimmer aus ein verzweifeltes Weinen und Schluchzen. Ich wusste nicht, woher es kam. Nach einigen Wochen, ich war gerade im Hof, um den Frauen Brot vorbeizubringen, hörte ich das Weinen erneut. Ich beschloss, Ghulam auf das Ereignis anzusprechen. Als ich zu ihm ging, sah ich eine Frau, die mir vorher noch nie begegnet war, den Hof verlassen. Ghulam versuchte, sich zu erklĂ€ren: Die Frau, die eben gegangen war, sei Mehreens Mutter. Ghulam sagte, das MĂ€dchen habe immer HeulkrĂ€mpfe, wenn sie komme. Warum? Weil das Kind so gerne mit seiner Mutter nach Hause wolle. Die Mutter komme einmal im Monat, jedoch nicht, um das MĂ€dchen zu besuchen, sondern um ihr Geld zu holen: den Lohn, den Mehreen verdiente, weil sie von Ghulams Familie als Dienerin beschĂ€ftigt werde. Davon wisse das kleine MĂ€dchen aber
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Generative Bildarbeit Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Title
Generative Bildarbeit
Subtitle
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Author
Vera Brandner
Publisher
transcript Verlag
Date
2020
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-5008-6
Size
14.8 x 22.5 cm
Pages
276
Keywords
Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, SituationalitÀt, ReflexivitÀt
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