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Operator, spectator und spectrum
Bei den Vorbereitungen auf die Fotografieausstellung âDas Auge und der
Apparatâ (2003) stieĂ ich erstmals auf den französischen Philosophen Roland
Barthes und seinen Text âDie helle Kammerâ (1985). Seither habe ich dieses
Buch immer wieder im Selbststudium, aber auch mit Kolleg_innen und Stu-
dierenden gelesen. Roland Barthes verfolgt in diesem Buch die Frage nach
dem Wesen der Fotografie, dem er zunÀchst anhand von einigen, ihn besonders
ansprechenden Arbeiten bekannter Fotografen10 betrachtend nachforscht.
âIch habe versucht, zu analysieren, inwiefern mich manche Fotos
betrafen, etwas in mir bewegten, eine Art Schock in mir auslösten,
der nicht zwangslĂ€ufig der Schock ĂŒber das abgebildete Sujet war.â
(Barthes 2002: 86)
Barthes stĂŒtzt sich bei der Bildauswahl auf den âNouvel Observateur Photoâ.
Bei den von ihm ausgewÀhlten Bildern handelt es sich hauptsÀchlich um
Fotos, die einige Zeit vor seinem Schreiben ĂŒber Fotografie entstanden und
die sich keinem einheitlichen Genre zuordnen lassen (ebd.: 87). Barthes wÀhlte
die Fotos vielmehr nach seinem persönlichen Empfinden bzw. Wahrnehmen
aus und unterzog sie beim Betrachten einer subjektiven Reflexion. In seinem
Text befragt und erforscht er diese Fotografien aus seiner Perspektive eines
spectators (Betrachters) und mit seiner Erfahrung als spectrum (so bezeichnet
er das, was fotografiert wird und spÀter auf der fotografischen OberflÀche abge-
bildet ist). Sein Interesse an der Fotografie sei, so Barthes, weniger analytisch
als emotional geleitet. Genauer, er lĂ€sst sich in seiner Forschung ĂŒber die
Fotografie bewusst von seinen Emotionen leiten.
âAls spectator interessierte ich mich fĂŒr die PHOTOGRAPHIE nur ,aus
GefĂŒhlâ; ich wollte mich in sie vertiefen, nicht wie in ein Problem (ein
Thema), sondern wie in eine Wunde: ich sehe, ich fĂŒhle, also bemerke
ich, ich betrachte und ich denke.â (Barthes 1985: 30)
Mit dieser Vorgehensweise schlÀgt Barthes einen Weg ein, der in der Wissen-
schaft nicht ĂŒblich ist, zumindest nicht im alltĂ€glichen universitĂ€ren Lehr-
betrieb, so wie ich ihn etwa an der UniversitÀt Wien und an der Leuphana
erfahren habe. Andererseits ist mir Roland Barthesâ Zugang zur Fotografie aus
meiner Zeit als Kunstvermittlerin im Museum vertraut.
âIch erkenne deutlich, daĂ es sich hierbei um GefĂŒhlsregungen einer
willfÀhrigen SubjektivitÀt handelt, die, kaum ausgesprochen, bereits auf
der Stelle tritt: ich mag / ich mag nicht: wer von uns hÀtte nicht seine
ureigene Skala von Vorlieben, Abneigungen, Unempfindlichkeiten?â
(ebd.: 26)
10 Barthesâ Bildauswahl umfasst letztlich nur mĂ€nnliche Bildautoren. Als einzige Frau
erwĂ€hnt er die Fotografin Germaine Krull in einer AufzĂ€hlung groĂer fotografischer Werke,
die ihn jedoch nicht ĂŒberzeugten (Barthes 1985: 25, 43).
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, SituationalitÀt, ReflexivitÀt
- Category
- Medien