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Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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58 eine —, was meine Sehnsucht zu wecken vermag: dies kurze Klicken, welches das Leichentuch der Pose zerreißt.“ (Barthes 1985: 24) Bei diesen Zeilen erinnere ich mich an den Tag, als ich meine Hasselblad in einem Second-Hand-Laden gekauft habe. Als ich an diesem Abend mit meiner neuen (alten) Kamera in meinem Zimmer saß, fotografierte ich nicht. Ich zog die Kamera ohne Film immer wieder auf und löste sie aus, weil ich mich an ihrem Klang nicht satthören konnte. Sie klang laut, aber dabei sanft und „rund“. Ich dachte mir, mit dieser Kamera könne ich als Fotografin weiter- machen, weil dieser Klang mir und meinem Gegenüber ganz klar vermitteln würde, woran wir wären. Mit dieser Kamera würde ich nicht „schießen“, son- dern fotografieren. Ab nun — seit 2003 — begann ich, mir ein Arbeitsfeld zu erschließen, das sich über völlig unterschiedliche Zeiten und verschiedene Orte erstrecken sollte.11 Fotografische Choreografie Wenn man mich fragte, wo ich mich als Fotografin einordnen würde, fehlten mir meistens die passenden Worte bzw. Kategorien. Die Filmdokumentation „Tanz als Vermächtnis“ (Cunningham/Rebois 2012) über den Tänzer und Cho- reografen Merce Cunningham half mir bei der geforderten Selbstverortung als Fotografin auf die Sprünge, obwohl ich selbst wenig mit Tanzchoreografie zu tun habe. Die Choreografie, so Cunningham, existiere nur durch ihre Auffüh- rung, im Moment der Aufführung. Mithilfe verschiedener Dokumentations- methoden könnten die Aufführung und die choreografischen Aufzeichnungen auch für eine Ewigkeit festgehalten und archiviert werden. Tatsächlich sei aber jede einzelne Aufführung von Vergänglichkeit geprägt. Zeit, Ort, Publikum und auch die Darsteller_innen änderten sich. Immer wieder wird behauptet, die Flüchtigkeit der Aufführung sei ein grundlegender Unterschied zwischen bildenden und darstellenden Künsten: Der Tänzer tanzt für den Augenblick — Malerin, Bildhauer und Fotografin hingegen fertigen Bildwerke für die Ewig- keit. Doch spätestens im 20. Jahrhundert lässt sich diese Unterscheidung der Künste nicht mehr aufrechterhalten. Die eine Kunstform bedient sich der anderen, woraus immer wieder neue Stile, Formen, Gebilde, Bewegungen entstehen — die orthodoxe und vermeintlich notwendige Ordnung scheint gebrochen. Fotografie und Tanz ähneln sich für mich speziell im Moment der Aufführung/Aufnahme mehr, als sie sich voneinander unterscheiden. Die Menschen vor meiner Kamera setzen sich in Szene, sie drehen und wenden sich, bis sie in einer für sie passenden Pose ankommen, manchmal laut und sehr aufgeregt, dann wieder vollkommen in sich ruhend (Moser 2012). Dementsprechend bezeichne ich mein Fotografieprojekt gerne als eine „Choreografie“, die ich für mich als Fotografin und für die stets wechselnden 11 Es handelt sich dabei um mein Fotografieprojekt „Das Bild der Anderen“. Ein Ausschnitt aus diesem Projekt ist inzwischen als Buch erschienen (Brandner 2012) und beinhaltet Porträts, die ich im Laufe der Jahre neben meiner Arbeit für ipsum in Angola, Pakistan, Afghanistan, Israel und Palästina gemacht habe.
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Generative Bildarbeit Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Title
Generative Bildarbeit
Subtitle
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Author
Vera Brandner
Publisher
transcript Verlag
Date
2020
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-5008-6
Size
14.8 x 22.5 cm
Pages
276
Keywords
Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
Category
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