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Als Nächster interessierte sich Walter Moser, ein Freund aus dem Team der
Kunstvermittler_innen, fĂĽr meine Bilder. Er ermutigte mich, die Fotografien
in Ausstellungen zu zeigen. Er kuratierte meine erste groĂźe Ausstellung und
ein paar Jahre später sollte er auch darüber schreiben. In seinem Aufsatz in
meinem Fotobuch „Das Bild der Anderen“ (Moser 2012) stellt er die Erfahrung,
die ich in meiner fotografischen Praxis mit dem Vergleich von Tanz und Foto-
grafie beschreibe, in einen theoretischen Kontext, indem er — in Anlehnung
an Kaja Silverman (1996) — anhand meiner Bilder der Beziehung zwischen
den Menschen vor der Kamera und mir, der Fotografin, nachforscht. Er kon-
zentriert sich dabei auf die Bewegungen und Posen der Abgebildeten, auf das,
was sie unbewusst tun, wenn sie die Kamera auf sich gerichtet fĂĽhlen (Moser
2012: 10).
Beim Zeigen und Betrachten meiner Bilder mit Anderen stoĂźe ich
wieder auf Roland Barthes — und seine Frage:
„Wem gehört eine Photographie? Dem (photographierten) Subjekt oder
dem Photographen?“ (Barthes 1985: 20)
Diese Frage stelle ich als Fotografin und im Rahmen der ipsum-Projekte mit
meinen Kolleg_innen und den Teilnehmer_innen immer wieder. Ich versuche,
gleichermaĂźen meiner Perspektive als Fotografin und jener der Menschen vor
der Kamera bzw. auf den Bildern gerecht zu werden. Barthes stellt die Frage
als Betrachter und in Erinnerung an die Erfahrung des Abgebildeten — dessen,
der vor der Kamera fĂĽhlt, wie er eine Pose einnimmt und dabei handlungs-
unfähig wird, also seine Subjekthaftigkeit einbüßt.
„Zahllose Prozesse haben, wie es scheint, diese Unsicherheit einer
Gesellschaft zum Ausdruck gebracht, fĂĽr die das Sein auf das Haben
gegrĂĽndet war. Die PHOTOGRAPHIE hat das Subjekt zum Objekt
gemacht und sogar, wenn man so sagen kann, zum Museumsobjekt.“
(ebd.: 21)
Barthes zufolge macht die Mehrzahl der Fotograf_innen die Menschen vor
der Kamera zum Objekt und klammert sie damit in ihrem Dasein als handelnde
Subjekte aus. Er beschreibt die Versuche von Fotograf_innen, ihren Bildern
durch Inszenierungen Leben einzuhauchen, als „armselig“. Die Fotograf_in
nen
mĂĽssten wissen, dass ihr Kampf gegen den Tod vergebens sei. Der Mensch
vor der Kamera könne als Objekt der Fotografie nicht mitkämpfen. Bild-Werden
bedeutet für Roland Barthes, in seiner Erfahrung als Referent getötet zu
werden.
„[...] wenn ich mich auf dem aus dieser Operation hervorgegangenen
Gebilde erblicke, so sehe ich, dass ich GANZ UND GAR BILD geworden
bin, das heißt der Tod in Person; die anderen — der ANDERE — entäußern
mich meines Selbst, machen mich blindwĂĽtig zum Objekt, halten
mich in ihrer Gewalt, verfügbar, eingereiht in eine Kartei, präpariert für
jegliche Form von subtilem Schwindel.“ (ebd.: 23)
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien