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71 Roland Barthes zeigt fĂĽr mich auf, dass die Fotografie als ambivalentes
Geflecht betrachtet werden muss. Sie gibt Evidenz von etwas, bringt Abbilder
hervor, die — losgelöst von dem, was sich tatsächlich vor der Kamera befun-
den hat — eine gewisse Eigenlogik entwickeln und damit die Evidenz wieder
in Frage stellen. Sie ist immer an historische Gegebenheiten gebunden, wird
diesen entrissen und kann in unterschiedlichen Kontexten zu völlig verschie-
denen Lesarten führen. Sie kann mich — in Form einzelner Bilder — berühren,
und das vor allem dann, wenn ich in einem besonderen Verhältnis zum Abge-
bildeten stehe.
2.2.3 IPSUM
„Gewöhnlich wird der Amateur als unausgereifter Künstler definiert:
als jemand, der zur Meisterschaft in seiner Profession nicht aufsteigen
kann — oder will. Auf dem Feld der photographischen Praxis dagegen
ĂĽberflĂĽgelt der Amateur den Professionellen: er kommt dem Noema
der PHOTOGRAPHIE am nächsten.“ (Barthes 1985: 109)
Roland Barthes kommt zum Schluss, dass es nicht professionelle Fotos oder
Kunstfotografien sind, die ihm erlauben, die Oberfläche der Fotografie
reflektierend zu durchdringen. So gibt er zu bedenken, dass er wohl alle Foto-
graf_innen, die sich selbst als professionell betrachten, mit dem Buch „Die
helle Kammer“ (1980) enttäuschen würde, weil sich für ihn das Wesen der
Fotografie erst ĂĽber die private Fotografie, die Amateurfotografie erschlieĂźe
(ebd.: 109).
Angeregt von der Idee, das Beziehungshafte der Fotografie genauer zu
betrachten und auszuloten, konzipierte ich 2003 ein Fotografieprojekt, in dem
alle Beteiligten gleichermaĂźen als operator, spectator und spectrum agieren
können. In der Folge habe ich mit Freund_innen eine Initiative gegründet, in
der es nicht allein um den Standpunkt der Fotograf_innen geht, sondern
auch darum, durch einen Wechsel der Rollen (im fotografischen Feld) immer
wieder einen Wechsel der Perspektiven zu ermöglichen. Später haben wir diese
Initiative ipsum genannt — woraus sich ein weiterer Arbeitsplatz im Dazwischen
entwickelt hat.
Abb. 16 ipsum-Dokufoto
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien