Page - 107 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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107 schem Kontext (Freire 2007: 90–91) im Rahmen der Alphabetisierung wird
ein Bildungsprozess angeregt, der weit ĂĽber das Erlernen einer Kulturtechnik
hinausgeht. Es geht um Bildung, die nach „dem Denken des Menschen über
die Wirklichkeit und nach seinem Handeln an der Wirklichkeit“ (Freire 1978:
88) strebt.
3.2 BILDARBEIT DURCH INTERAKTIVE FOTO-METHODEN
Im folgenden Abschnitt liegt der Fokus auf der fotografisch-visuellen Metho-
denentwicklung, die seit den 1970er-Jahren vor allem in den Sozialwissen-
schaften zunehmend eine Rolle spielt. Ich wähle dabei Forschungsmethoden,
die durch ihren partizipativen und prozesshaften Charakter in einem Nah-
verhältnis zur Generativen Bildarbeit stehen. Diese ausgewählten Methoden
nenne ich interaktive Foto Methoden. Durch ihre Gegenüberstellung und
Systematisierung auf drei Interaktionsebenen stelle ich die Gemeinsamkeiten
und Unterschiede der ausgewählten interaktiven Foto-Methoden heraus und
nehme eine Bewertung hinsichtlich ihrer Partizipationsmöglichkeiten und
ihrer Prozesshaftigkeit vor.
3.2.1 AUSWAHL INTERAKTIVER FOTO-METHODEN
Fotografische Bilder beherrschen die wissenschaftliche Welt vielleicht nicht
im selben MaĂź wie die Alltagswelt, sie dienen jedoch immer wieder als ent-
scheidende Elemente, wenn etwa mithilfe von Abbildern bestimmte Erkennt-
nisse bestätigt und andere widerlegt werden. In manchen Wissenschafts-
bereichen wird darĂĽber hinaus die Fotografie als Forschungsmethode zum
Einsatz gebracht, es wird Bildarbeit in verschiedenen Varianten betrieben.
Am Umgang mit den beteiligten Menschen im fotografischen Geflecht und
mit den fotografischen Bildern, die daraus entstehen, werden das jeweilige
Wissenschaftsverständnis der Forscher_innen und ein dementsprechender
Begriff von Wirklichkeit erkennbar. Wird die Bedeutungsvielfalt von Bildern
anerkannt, steht dies meist in Widerspruch zu einem Wissenschaftsver-
ständnis, das auf reine Evidenzerzeugung durch fotografische Abbilder setzt.
Wird jedoch Fotografie lediglich als Abbildungsverfahren betrachtet, durch
das Datenquellen und bei Bedarf Beweismaterial generiert werden, bleiben
Entstehungs- und Verwendungszusammenhänge — und damit die Rolle der
Menschen, die Bilder produzieren und verwenden — unbeachtet und unreflek-
tiert. Das Wesen der Fotografie, das noema (Barthes 1985: 86–87), das die
Fotografie von allen anderen bildgebenden Verfahren unterscheidet, kann in
solchen Zusammenhängen nicht methodologisch zur Geltung kommen. Das
entspricht grundsätzlich jenen Verfahren, in denen Fotografien als Evidenz
erzeugende bzw. rein abbildende Medien eingesetzt werden, wie es häufig bei
kolonialen Verfahren der „fotografischen Welterkundung“ (vgl. dazu Anderson
1923; Trasher 1927; Bateson/Mead 1942) der Fall war, die sich in Varianten
bis heute in diversen fotografisch-visuellen Ansätzen widerspiegeln. In
Forschungsfeldern, in denen es grundsätzlich um ungleiche Verteilung von
Macht und Ressourcen geht (wie beispielsweise die Nachhaltigkeits- und
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien