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115 integriert war. Vorausgehende Annahmen der Forscher_innen zu den Hygiene-
bedingungen im Hammam wurden nicht bestätigt. Stattdessen kamen andere
Themen auf, die das Umfeld des Hammams betrafen (ebd.: 266). Teilweise
wurden Aspekte, die in den Fotos sichtbar waren, nicht im Interview verbali-
siert. Interessant erschien, dass die Interviews sehr subtil verliefen und die
Teilnehmer_innen jede offene Kritik vermieden (ebd.). Die Fotos, die die Teil-
nehmer_innen generiert hatten, wurden auch öffentlich präsentiert, um einen
Dialogprozess zwischen Politiker_innen und Bewohner_innen der Stadt Fez
zu ermöglichen.
Photo Novella/Photovoice Im zweiten Beispiel von Lorenz und Kolb (2009:
269–271) geht es um Patient_innen, die an den Folgeschäden einer Gehirnver-
letzung litten. Die Gemeinsamkeit verschiedenster Krankheitsbilder in diesem
Zusammenhang besteht darin, dass alle Patient_innen bezĂĽglich ihrer Heilungs-
chancen mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor konfrontiert waren. Das
Photovoice-Projekt in Massachusetts war, als eines von wenigen Projekten zu
diesem Thema, auf qualitativer Basis konzipiert worden. Untersucht werden
sollte vor allem, wie sich der Zusammenhang zwischen den Bedingungen des
Gesundheitssystems und den Lebensumständen der Betroffenen aus ihrer
Sicht darstellt. Das Projekt wurde in Kooperation mit einer Selbsthilfegruppe
in Massachusetts umgesetzt. Methodisch war das Projekt folgendermaĂźen
angelegt: Acht Mitglieder der Selbsthilfegruppe, zwischen 40 und 60 Jahren
alt, nahmen fĂĽr zehn Wochen an dem Forschungsprojekt teil. Jede Person
erhielt zwei bis drei Einwegkameras und wurde aufgefordert, damit Fotos zum
Thema zu machen. Dadurch entstanden 365 Fotos, die nach ihrem Bildinhalt
in fĂĽnf thematische Gruppen eingeteilt wurden. Die Teilnehmer_innen ent-
schieden selbst, welche Bilder sie in den Diskussionsprozess einbrachten;
manche entschieden sich auch fĂĽr bereits existierende Fotos aus der Vergan-
genheit. Die Geschichten, die sich in den Diskussionen zu ihren Bildern erga-
ben, wurden von den Teilnehmer_innen niedergeschrieben oder jemandem
diktiert (ebd.: 270). Die Analyse war also prozesshaft mit den Teilnehmer_in
-
nen gestaltet worden. Die visuellen Ergebnisse (Fotos und Texte) wurden in
BĂĽchereien und bei Konferenzen ausgestellt. Die Ergebnisse fĂĽhrten weniger zu
Veränderungen auf Politikebene als zu weiteren Bewusstseinsbildungsinitiati-
ven im Projektumfeld (ebd.: 271). Aufgrund dieser Studie wurde ein Photo-
voice-Trainingsprogramm fĂĽr Leiter_innen von Selbsthilfegruppen in Massa-
chusetts eingerichtet, wodurch wieder neue Photovoice-Projekte entstanden.
Die beiden Beispiele von Lorenz und Kolb (2009) zeigen, wie man die
Zivilbevölkerung mit fotografisch-visuellen Methoden in interaktive For-
schungsprozesse einbeziehen kann. Die sogenannten Zielgruppen bzw. For-
schungsobjekte werden zu autonom handelnden Subjekten. Es werden damit
jene Menschen zu Akteur_innen in der Forschung, die gewissen sozialen,
politischen und gesundheitlichen Rahmenbedingungen am stärksten ausge-
setzt sind bzw. in direkter Abhängigkeit von den vorhandenen Strukturen
existieren (ebd.: 263). Der partizipative und prozesshafte Charakter dieser
Methoden wird als hoch bewertet. Das groĂźe Potential auf Interaktionsebene 3
liegt in der engen Zusammenarbeit von Forschenden und Beforschten. Indem
gemeinsame Forschungsprozesse ermöglicht werden, wird der Wissenskorpus
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien