Page - 197 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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197 fĂĽr die eigene fotografische Praxis erweist. Es wird versucht, beim Fotografieren
sowohl persönliche Vorlieben als auch ethische Ideale und bestehende Sach-
zwänge zu berücksichtigen. Dabei ergeben sich gestalterische Spielräume auf
drei Ebenen:
• Gestaltungsebene 1: Motivwahl
• Gestaltungsebene 2: Perspektivenwechsel
• Gestaltungsebene 3: Form und Inhalt
Gestaltungsebene 1: Motivwahl
Die Teilnehmer_innen stehen vor der Herausforderung, zwischen unter-
schiedlichen Motiven zu wählen. Hierbei kristallisieren sich drei zentrale
Gestaltungsformen heraus: Es wird A) mit Menschen fotografiert, es wird B)
mit Spiegelbild und Selbstporträt gearbeitet, und es wird C) ohne Menschen
fotografiert.
A Motivwahl — Fotografieren mit Menschen Eine Gestaltungsform
besteht darin, Bekannte und Freund_innen zu bitten, sich als Motive zur Ver-
fĂĽgung zu stellen. Wenn sich Teilnehmer_innen entscheiden, fremde Men-
schen bewusst zu fotografieren und dies nicht heimlich zu tun, sprechen sie
die Menschen an, die sie fotografieren wollen. Dabei erfahren sie teilweise
Zustimmung, aber auch Ablehnung. Willigen fremde Menschen in ein Foto
ein, wird dies als Erfolgserlebnis und wertvolle Erfahrung empfunden. Es
kann aber auch sein, dass die Situation trotz Erlaubnis als unangenehm wahr-
genommen wird. Durch die Erfahrung einer Ablehnung werden die unange-
nehmen und angstvollen Gefühle bestätigt und verstärkt. Die Gedanken, die
durch das Ansprechen und Fotografieren von Menschen und auch durch die
Erfahrung von Ablehnung hervorgerufen werden, regen oft dazu an, weitere
Möglichkeiten für das Fotografieren von Menschen zu entwickeln und aus-
zuprobieren.
Das Fotografieren von Menschen, ohne diese anzusprechen bzw. ohne
um Erlaubnis zu bitten, wird als Variante vor allem dann gewählt, wenn die
Teilnehmer_innen darauf fokussiert sind, ein möglichst „authentisches“ Foto
einer Situation zu machen. Heimliches Fotografieren wird auch dann bevor-
zugt, wenn die HĂĽrde, Menschen anzusprechen, allzu groĂź erscheint, die Teil-
nehmer_innen dennoch ein bestimmtes Foto von einer bestimmten Situation
haben wollen. Die Teilnehmer_innen beschreiben ihre Vorgehensweisen
hierbei als eine Art „Jagd“ bzw. ein „Sich-auf-die-Lauer-Legen“, als taktische
Herausforderung oder auch als unangenehmes Unterfangen, bei dem sie
die Menschen auf ihren Bildern in gewisser Weise hintergehen. Eine Form
des heimlichen Fotografierens besteht auch darin, Menschen bei öffentlichen
Veranstaltungen abzulichten. Der öffentliche Charakter der Veranstaltung
und die Anwesenheit von Medienvertreter_innen, die filmen bzw. fotografie-
ren, dienen den Teilnehmer_innen in solchen Momenten als Rechtfertigung
fĂĽr das eigene Fotografieren.
Jene Teilnehmer_innen, die besonders viel ĂĽber ethische Ideale beim
Foto grafieren von Menschen reflektieren, entscheiden sich oftmals dazu,
Menschen zu anonymisieren. Selbst mit Erlaubnis der Beteiligten werden die
Gesichter der Menschen nicht abgelichtet bzw. nur einzelne Körperteile (meist
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien