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AuĂźerdem brauche ich ja Men-
schen im Vordergrund. Gleich-
zeitig habe ich aber auch ein
bisschen Angst vor den Men-
schen. Kann ich mich einfach
irgendwo hinstellen und herum-
fotografieren? Ich sollte versu-
chen, unauffällig zu sein, mich
vielleicht auf die Lauer legen.
(97/178) Fotos von Freunden und Bekannten interessieren mich nicht, bei
Festen gibt es meist Profifotografen, mit einer beeindruckenden
FotoausrĂĽstung. Was bleibt mir also anderes ĂĽbrig, ich versuche
es mit der „versteckten Kamera“, daher ist der Abstand zwischen
der Person und mir meist sehr groß und das Ergebnis lässt sich
erst auf den ausgearbeiteten Bildern ablesen. (59/13–14)
Etwas anderes, das ich in Bezug auf die Bilder, die ich präsentieren werde, anmer-
ken möchte, ist, dass die Personen, die ich fotografiert habe, nicht unmittelbar
wussten, dass ich sie fotografiere. Diese Vorgehensweise halte ich zunächst auf
Grund dessen für gerechtfertigt, dass die Bilder im Rahmen öffentlicher Veran-
staltungen gemacht wurden, die auch seitens der Veranstalter_innen dokumen-
tiert/fotografiert/gefilmt wurden. (92/II/4–5)
Ich habe alle Bilder, die ich prä-
sentieren werde, ausschlieĂźlich
aus meinen Zimmerfenstern
fotografiert. Es sind Perspekti-
ven, die ich deshalb naturge-
mäß sehr oft sehe. Die Perso-
nen sind Menschen, die mich in
meinem Alltag umgeben, ohne
dass wir uns kennen – Nachbar-
schaft in einer Stadt → auch die
Fotos sind natĂĽrlich ohne deren
Wissen entstanden. (63/I/105) Ich habe deshalb [...] nur Fotos ausgewählt, die sehr
schnell im Alltag quasi als Momentaufnahmen entstan-
den sind und bei denen die Menschen wahrscheinlich
nicht wussten, dass ich sie fotografiere. Einerseits hoffe
ich, dass ich dadurch bei meinen KollegInnen eine Dis-
kussion zur Frage „Was ist ein gestelltes bzw. authenti-
sches Foto?“ auslösen kann, andererseits habe ich auch
wieder mit meiner Rolle als heimliche Beobachterin
gespielt. (88/II/16)
Während des Fotografierens hatte ich ständig Angst, entdeckt zu werden.
Ich wĂĽrde mich bedroht fĂĽhlen, wenn ich jemanden dabei erwischen
wĂĽrde, wie er mich vom gegenĂĽberliegenden Fenster aus fotografiert.
(63/I/105)
Beim Fotografieren war mir eine Situation sehr unangenehm, in der ich
doch entdeckt worden bin, und die Reaktion war, dass mir der Mittelfinger
gezeigt wurde. Ich bin danach zu der Person gegangen und habe erklärt,
was ich tue, die wollte dann, dass ich das Foto lösche, was ich auch getan
habe und damit wars dann o.  k. Aber ich habe mich sehr lange sehr unwohl
gefĂĽhlt deswegen. (76/II/28)
Abb. 68 AuszĂĽge aus den ForschungstagebĂĽchern: Motivwahl, Menschen heimlich fotografieren
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien