Page - 219 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Image of the Page - 219 -
Text of the Page - 219 -
219 AuĂerdem schien mir die Ăberwachungskamera
in diesem Moment sehr symbolisch fĂŒr die
Aneignung von Raum und die Unterschiede
der Gestaltungsmöglichkeiten im öffentlichen
Raum sowie der Definitionsmacht darĂŒber,
was gewollt ist und was eine Gefahr darstellt.
(73/II/39â40)
Da wir diese Bilder zusammengelegt haben, ergab sich daraus die Frage, wo in der Stadt denn
eigentlich der Platz fĂŒr Kinder und Menschen ist? Nach einigem Hin und Her und dem Sprechen
ĂŒber unsere Anordnung der Bilder rĂŒckte die Frage âWo sind die Menschen?â in den Vordergrund
und wir filterten Bilder heraus, auf denen Absperrungen zu sehen waren, die wir in die Mitte des
Clusters platzierten, sodass ein leerer Raum in der Mitte des Tisches âein/ausgesperrtâ wurde.
Dass hinter einer der Absperrungen viele Menschen, vor allem Kinder, zu sehen waren, korrespon-
dierte dabei mit den Bildern von den KinderspielplĂ€tzen, die im Ăbrigen auch von Begrenzungen
umzÀunt sind. (92/III/6)
Die fotografierten PlÀtze wurden als sonst gern besuchte Aufent-
haltsorte gesehen, die nun aber verlassen sind, als wÀren die
Menschen einfach aufgestanden und gegangen. Diese Abwesen-
heit der Menschen wurde auch im nÀchsten Bilddialog aufge-
griffen, die Frage nach dem Verbleib der Personen stellt somit
augenscheinlich einen wichtigen Aspekt zur Einordnung von
Bildern dar. (95/III/2)
WĂ€hrend die Anderen meine Fotos betrachteten, kamen folgende EindrĂŒcke und Ăberlegungen zur
Sprache: Alle scheinen Orte zu zeigen, die sich selbst ĂŒberlassen sind, sie sind teilweise zerfallen,
alle haben ânatĂŒrlicheâ Elemente dabei (Wasser, Sonne, Pflanzen). Es sind Orte ohne Menschen,
unnĂŒtze FlĂ€chen, aber sie scheinen mal einen Sinn gehabt zu haben. Jetzt jedoch sind es Orte
ohne Funktion. Es entstand eine Diskussion, in der einer eher eine Abneigung gegen diese âtoten
RĂ€umeâ wie den Innenhof spĂŒrt, wĂ€hrend der andere sich aufgefordert fĂŒhlt, dort StĂŒhle hinzu-
stellen, sich den Freiraum zu nehmen, wenn doch schon so groĂe Wohnungsnot und Platzmangel
herrschen, mĂŒssen doch gerade solche RĂ€ume belebt und angeeignet werden. Er sprach von
RĂŒckeroberung dieser Orte und betonte eher die Möglichkeit, die diese Orte ausstrahlen, statt
den Tod darin zu sehen. (91/II/2)
Meiner Gruppe und mir fiel besonders auf, dass es auf den Fotos
keine Menschen zu sehen gibt, dass trotz allem sehr viel Bewe-
gung im Spiel ist. Diese Bewegung jedoch scheint eingeschrÀnkt
beziehungsweise begrenzt zu sein. Wir stellten uns die Frage: Wer
macht diese Grenzen? Es sind vorgegebene Grenzen, welchen wir
tĂ€glich ĂŒber den Weg laufen und welche wir widerstandslos ein-
halten. [...] AuĂerdem erkannten wir verschiedene PolaritĂ€tsfelder,
welche sich sowohl aus Freiheit und Sicherheit, Ruhe und Unruhe
als auch urbanen RÀumen im Gegensatz zu FreirÀumen zusam-
mensetzten. (93/III/167)
Hinzu kommt, dass der urbane
Raum so viele Menschen auf
solch engem Raum beherbergt,
dass zwischen diesen der per-
sönliche Bezug verloren geht.
Dieser Umstand verstÀrkt [...]
jene Entfremdung, die mit dem
Foto transportiert werden soll.
(85/I/7) Das Spannungsfeld zwischen
öffentlichem und privatem
Raum, aber auch zwischen
urbanem/bebautem und
ânatĂŒrlichemâ Raum oder
âbelebterâ und âunbelebterâ
Umwelt schien mir in vielen
der prÀsentierten Fotos
wieder zu begegnen, [...]. (65/5)
Abb. 83 AuszĂŒge aus den ForschungstagebĂŒchern: Raum/Gesellschaft
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, SituationalitÀt, ReflexivitÀt
- Category
- Medien