Page - 228 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Image of the Page - 228 -
Text of the Page - 228 -
228
in dem aus der Begegnung zwischen Fotograf_in und Fotomotiv ein Bild
entsteht, das als Foto ĂĽber die Begegnung hinaus Bestand hat und schlieĂźlich
Fotograf_in und Betrachter_in, aber auch Betrachter_in und Fotomotiv mit-
einander in Verbindung setzt.
„Hier gibt es eine Verbindung aus zweierlei: aus Realität und Vergan-
genheit. Und da diese Einschränkung nur hier existiert, muß man sie
als das Wesen, den Sinngehalt (noema) der PHOTOGRAPHIE ansehen.“
(ebd.: 86)
Alle beteiligten Menschen sind durch diese beständige Eigenheit, durch das
noema, den „Sinngehalt der Fotografie“ berührt. Letztlich kann das fotogra-
fische Spannungsfeld als Zeitraum der Bildwerdung betrachtet werden, eine
Aneinanderreihung wichtiger Momente — vom Posieren über das Auslösen
bis hin zum Betrachten und immer wieder neuen Betrachten des Bildes —
dieser Zeitraum ist es, der alle Beteiligten im fotografischen Spannungsfeld
verbindet. In diesem Zeitraum geschieht die Verwandlung, die einem Men-
schen widerfährt, wenn er oder sie erst vor einer Kamera steht, eine Pose ein-
nimmt, aus der Pose heraustritt und zu einem späteren Zeitpunkt wieder
in derselben Pose auf einem Bildträger erscheint. Ein Foto muss demnach im
Sinne John Bergers so situiert sein, „dass es etwas von der überraschenden
Schlüssigkeit dessen bekommt, das war und ist“ (Berger 2016: 87). Diese Ver-
bindung beschreibt Ariella Azoulay als “Civil Contract of Photography”
(2008) und betont, dass am Ende niemand das alleinige Besitzrecht auf ein
Foto beanspruchen kann.
Angesichts der Ergebnisse der multiplen Fallstudie kann das fotografi-
sche Spannungsfeld als jener Raum betrachtet werden, in dem die Beteiligten
(operator, spectrum und spectator) GefĂĽhlsregungen von Angst bis Freude
zum Ausdruck bringen und Bestrebungen verfolgen, die mal von persön-
lichem Begehren und dann wieder von ethischen Idealen bestimmt werden.
Diese Dimensionen werden im Folgenden in Zusammenhang mit dem Para-
digmenwechsel betrachtet, der sich aus dem Transformationsprozess im
Umgang mit Fotografie im Speziellen, aber auch mit Visualität und Bildhaftig-
keit im Allgemeinen ergibt.
6.1.2 ZWISCHEN ANGST UND FREUDE, PERSĂ–NLICHEM BEGEHREN
UND ETHISCHEN IDEALEN
Wie in der multiplen Fallstudie werden in diversen Publikationen zur „visuel-
len Zeitenwende“ Wünsche, Hoffnungen, Freude und Ängste zum Ausdruck
gebracht, die Menschen im Umgang mit Bildern entwickeln. Diese WĂĽnsche
und Ängste determinieren das fotografische Spannungsfeld; es empfiehlt sich,
sie disziplinĂĽbergreifend aufzuarbeiten und auszudifferenzieren (Devereux
1998). Es lässt sich eine reichhaltige Bandbreite an Haltungen gegenüber dem
Visuellen ausmachen, die Sigrid Schade und Silke Wenk (2011) anhand zweier
Extrempole in der Auseinandersetzung um die visuelle Zeitenwende festma-
chen: Zum einen handelt es sich um „apokalyptische Ängste vor einer (Über-)
Macht der Bilder und ihrer beschleunigten Zirkulation“ (Schade/Wenk 2011:
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien