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Durch die Verwendung von Kameras und die Beteiligung mehrerer Menschen
am Akt des Fotografierens entstehen unzählige Selbst- und Fremdbilder. Diese
Bilder sind geprägt von der Qualität der Beziehung zwischen den Beteiligten.
Die Theorieskizze zeigt, dass sich durch die Tätigkeiten und Blickwechsel auf
verschiedenen Ebenen bestehende WidersprĂźche und Differenzen in die Bilder
einschreiben, ohne auf der Bildoberfläche unmittelbar sichtbar zu sein. So
verweisen John Berger und Jean Mohr im Vorwort zu ihrem Fotoessay âEine
andere Art zu erzählenâ (2000) auf den Zusammenhang von WidersprĂźchlich-
keit und Vieldeutigkeit in der Fotografie:
âEine Photographie ist ein Treffpunkt widersprĂźchlicher Interessen:
denen des Photographen, des Photographierten, des Betrachters
und dessen, der die Photographie verwendet. Die WidersprĂźche ver-
bergen â und verstärken zugleich â die dem photographischen Abbild
eigentĂźmliche Vieldeutigkeit. (2000: 7)
Der Umgang mit der Vieldeutigkeit und den Ambivalenzen von Bildern/Foto-
grafien wird bislang nicht in systematisierter Form wie das Lesen und Schrei-
ben von Buchstaben und Worten in Pflichtschulen unterrichtet und erlernt.
Gleichzeitig wird die Beherrschung der Fotografie inzwischen als eine Selbst-
verständlichkeit im kapitalisierten Alltag betrachtet und die Fotografie kommt
hier in vielfältiger Weise als Reflexionsmedium und Kulturtechnik (Stiegler
2009: 9) zum Einsatz. In diesem Zusammenhang gibt Walter Benjamin jedoch
bereits 1931 in seiner âKleinen Geschichte der Fotografieâ zu bedenken, dass
mit der Erfindung und Verbreitung der Fotografie nicht automatisch die ent-
sprechenden Fähigkeiten im Umgang mit diesem Medium verbunden seien.
ââNicht der Schrift-, sondern der Photographieunkundige wird, so hat
man gesagt, der Analphabet der Zukunft seinâ. Aber muĂ nicht weniger
als ein Analphabet ein Photograph gelten, der seine eigenen Bilder
nicht lesen kann?â (1977: 64)
Bilder erscheinen als âselbstverständlichâ, als seien sie âselbstâ verständlich
(Schade/Wenk 2011: 8). Sigrid Schade und Silke Wenk beschreiben diese
Selbstverständlichkeit als Mythos, der nicht nur die Fotografie umrankt, son-
dern von der Annahme einer vermeintlich universellen Verständlichkeit von
Bildern herrĂźhrt â als wĂźrde es sich bei den verschiedenen Produkten bild-
gebender Verfahren um eine Art ânatĂźrlicheâ Zeichen handeln, die sich selbst
erklärten. Mit diesem Mythos geht die Vorstellung einher, dass Bilder grund-
sätzlich einfacher zu verstehen seien als Schriftsprache und dass Betrachter_
innen quasi von Natur aus wĂźssten, wie sie mit diesen Produkten (Bildern)
umgehen mßssen (ebd.: 13). Dieser Mythos tritt im Alltagsverständnis wie
auch in spezialisierten, professionellen Feldern und in diversen Wissen-
schaftsbereichen zutage. In den Naturwissenschaften zeigt er sich durch das
Festhalten an der Evidenz erzeugenden Qualität von Bildern. Jedoch auch in
den Kunst- und Kulturwissenschaften, die sich dezidiert mit dem Erzeugen,
Verwenden, Lesen und Interpretieren von Bildern beschäftigen, also in
Bereichen, denen man eine reflektierte Offenheit gegenĂźber bildgebenden
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien