Page - 242 - in Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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Rahmen kollektiver Bildungsprozesse die Möglichkeit, diese zu einer episte-
mologischen Neugier weiterzuentwickeln. Praxis bedeutet insofern auch ein
Hin-und-Her-Wandern der Beteiligten zwischen lebensweltlichem, konkretem
Erfahren und theoretischen Erkenntnisprozessen (Freire 2007: 90–91). In
diesem Zusammenhang wird die Fotografie als ambivalentes und transforma-
tives Medium relevant. Sie kann einerseits Medium fĂĽr das multikulturelle
Produzieren und Reproduzieren von kulturellen Universalkategorien sein. Sie
kann aber auch in ihrer Verfasstheit als Praxisform mit wechselnden Subjekt-
und Objektpositionen dazu dienen, kulturelle Differenz sichtbar und ver-
handelbar zu machen.
Das Konzept der Grenzarbeit, wie es an inter- und transdisziplinären
Schnittstellen zwischen verschiedenen Wissenskulturen diskutiert wird, lässt
sich in adaptierter Form auf die Ergebnisse der vorliegenden Forschungsarbeit
ĂĽbertragen. Dazu schlage ich vor, kulturelle Differenz (Bhabha 2004) als transÂ
disziplinäres Grenzkonzept zu begreifen, das — in einem transdisziplinären GrenzÂ
raum — im fotografischen Spannungsfeld verhandelt wird. Die fotogra fische
Praxis im Allgemeinen und die Generative Bildarbeit im Speziellen, wie sie im
Sinne des Forschenden Lernens in der multiplen Fallstudie des vorliegenden
Forschungsprojektes eingesetzt, erforscht und analysiert wurde, können als
konkrete Form der transdisziplinären Grenzarbeit begriffen werden. Dabei ent-
stehen generative Bilder und Themen der Menschen (Freire 1981: 84; siehe
auch S.106ff.), die miteinander im transdisziplinären Forschungskontext zusam-
menarbeiten — diese können als transdisziplinäre Grenzobjekte betrachtet werden.
6.3.1 KULTURELLE DIFFERENZ ALS
TRANSDISZIPLINÄRES GRENZ KONZEPT
Transdisziplinäre Forschungszusammenhänge können als Grenzsituationen
begriffen werden, in denen alle Beteiligten einem gewissen Strukturdetermi-
nismus ausgesetzt sind. Je nachdem, wie sich die Menschen, Gruppen und
Institutionen im sozialen Raum positionieren oder positioniert werden, stehen
sie zueinander in einem Spannungsverhältnis. Sie nehmen einander auf
bestimmte Weise(n) wahr, woraus Reaktionen, Handlungen und wieder neue
Wahrnehmungen entstehen (Barlösius 2011: 121). Um dieses Spannungsver-
hältnis zu begreifen und zu erforschen, führt Pierre Bourdieu den Begriff des
Habitus ein. Mithilfe dieses Begriffs versucht er, jene Strukturen und Mecha-
nismen zu verstehen, die den sozialen Raum als „Raum von Unterschieden“
konstituieren, in dem Individuen oder Gruppen je nach ihrer Position eine
privilegierte oder marginalisierte Rolle einnehmen (1985: 26). Als Resultat der
jeweiligen Position im sozialen Raum findet der Habitus in der alltäglichen
Praxis seinen Ausdruck in bestimmten Verhaltensweisen und Lebensstilen,
die sowohl gesellschaftlich als auch individuell reproduziert werden. „Habitus
ist zugleich Ergebnis sozialer Unterschiede wie auch Bedingung fĂĽr deren
Fortbestehen.“ (Dörfler 2003: 18). Der Habitus strukturiert den Blick der
Menschen auf ihren sozialen Raum und auf die gesamte Gesellschaft, bringt
aber diesen Blick gleichzeitig hervor. Diese Betrachtungsweise mag im ersten
Moment zu einer fatalistischen Haltung verleiten. Bourdieus Habitus kann
zum einen als Instanz betrachtet werden, die Menschen bis zu einem gewissen
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Title
- Generative Bildarbeit
- Subtitle
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Author
- Vera Brandner
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 276
- Keywords
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Category
- Medien