Page - 54 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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Scherer, der – unterstützt durch seine antikatholischeHaltung und seine
gesamtdeutsche Kulturauffassung – immer gegen die Eigenständigkeit
einer spezifisch österreichischen Literaturgeschichte auftrat, publizierte,
wenn auch nur in seinerWiener Zeit während der 1860er und frühen
1870erJahre,zuösterreichischenAutoren.182EinesystematischeErfassung
der österreichischen Literatur, ihre biblio- und biographische sowie edi-
torische Erarbeitung begann in größeremMaße aber erst mit der Schü-
lergeneration von Scherer. Sowohl August Sauer, RichardMariaWerner,
Josef Wackernell undBernhard Seuffert als auch JakobMinor und Josef
Seemüller,diezeitgleichdieLehrstühle inPrag,Lemberg, Innsbruck,Graz
undWien innehatten,183 setzten einen „deutlichenÖsterreich-Akzent“184
undprägtendamit sowohlForschungals auchLehreandenUniversitäten
derMonarchie von den 1880er Jahren bis zum Ende des ErstenWelt-
kriegs.185 Die Konzeption einer eigenen österreichischen Literaturge-
schichtsschreibung war in den Studien dieser Generation von Universi-
tätsprofessoren wie auch in der von Privatgelehrten erarbeiteten,
vierbändigenDeutsch-ÖsterreichischenLiteraturgeschichte (1899–1937) an
den Gegebenheiten des Vielvölkerstaats orientiert.186 Ihre wesentliche
Aufgabe sahen diese Forscher darin, die deutschsprachige Literatur in-
nerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie, also innerhalb eines
182 Scherers Arbeiten sind nur mit großen Vorbehalten für die Konstitution einer
österreichischen Literaturgeschichtsschreibung zu vereinnahmen; vor allem ver-
kündeten sie nämlich, wieMichler überzeugend darstellte, „dieWanderung des
deutschenGeistesausdemösterreichischenGebietnachPreußen“oderwaren,wie
imFalle seinesGrillparzer-Aufsatzes, „inWahrheit ScherersTotalabrechnungmit
den österreichischenVerhältnissen“.Michler: „DasMateriale für einen österrei-
chischenGervinus“ (1995), S. 181–182. –Gesammelt finden sich Scherers Ar-
beiten zur österreichischen Literatur bei Scherer: Vorträge undAufsätze zurGe-
schichte des geistigenLebens inDeutschlandundOesterreich (1874).
183 August Sauer war 1886–1925 in Prag, RichardMariaWerner 1884–1913 in
Lemberg, Josef EduardWackernell 1888–1920 in Innsbruck, BernhardSeuffert
1886–1923 inGraz, JakobMinor1885–1912undJosef Seemüller 1905–1911
bzw. 1917–1920 inWien.
184 Zeman:DerWeg zur österreichischenLiteraturforschung (1986), S. 30.
185 Zu den Forschungsschwerpunkten der einzelnen österreichischen Germanisten
dieserGeneration vgl. Zeman:DerWeg zur österreichischen Literaturforschung
(1986).
186 Die Herausgeber der Deutsch-Österreichischen Literaturgeschichte waren der
Gymnasiallehrer Jakob Zeidler, der Gymnasiallehrer und Privatdozent Johann
Willibald Nagl sowie der Gymnasiallehrer, Privatdozent und ab 1915 tit. a.o.
Professor Eduard Castle. – Nagl/Zeidler/Castle (Hg.): Deutsch-Österreichische
Literaturgeschichte. 4Bde. (1899–1937).
I. Die Verfasstheit derWiener
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher