Page - 58 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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weit,dieösterreichischeLiteratureinfachalseine„südeuropäischeindeutscher
Sprache“ zu bezeichnen.196
AlsBrecht1931dieseBestimmungderösterreichischenLiteraturforschung
veröffentlichte, war – nach Paul Kluckhohn – gerade Josef Nadler sein
Nachfolger auf dem Wiener Lehrstuhl für die neuere Abteilung der
Deutschen Philologie geworden.VondenVertretern einer eigenen öster-
reichischen, auf empirische Einzelstudien bauenden Literaturgeschichte
war nur nochEduardCastle anderWienerUniversität tätig, sodass trotz
der späten Anknüpfung Brechts an wissenschaftliche Paradigmen seiner
Vorgängergeneration, anmethodischeÜberlegungenMinors undSauers,
diese Forschungsrichtung innerhalb der Germanistik nicht fortgesetzt
wurde und insgesamt ohneEchoblieb.
Wiederum anders gewendet sind Brechts Arbeiten zu Hugo von
Hofmannsthal,mitdemer vonMai1917bis zudessenTod imJuli 1929
freundschaftlich verbundenwar und als dessenNachlassverwalter er zeit-
weilig auch fungierte.197 Das Verhältnis zwischen Brecht und Hof-
mannsthal war vonBeginn an von gegenseitigenAnsprüchen geprägt, in
denen eine Annäherung der wissenschaftlichen und der dichterischen
Sphäre, also eine „Komplizenschaft zwischenDichter undWissenschaft-
ler“198beabsichtigtwurde.199BereitsAnfang1919übergabHofmannsthal
Brecht seinewerkbiographischenNotizen„Admeipsum“,um,wieBrecht
1930 erklärte, „eine Art von innerlich authentischer Einwirkung auf die
Diskussion zu nehmen“ und dadurch „richtiger verstanden [zu] wer-
den“.200Hofmannsthal erwartete von ,seinem‘ Germanisten Brecht, wie
ChristophKönigfeststellte, „die IndividualitätundEinheit seinesOeuvres
zupropagieren“201, und sprachprinzipiell davon,dass ihrebeiden„Berufe
[…] doch so ineinander verhäkelt“202 wären. Brecht wiederum nannte
Hofmannsthal einen „Philologorum poetissimus, poetarum philologissi-
196 Brecht:ÖsterreichischeGeistesformundösterreichischeDichtung(1931),S.614.
197 Zu den Konflikten um Hofmannsthals Nachlass vgl. Oels: „Denkmal der
schönstenGemeinschaft“ (2007), S. 62–79.
198 Oels: „…dennunsere Berufe sind doch so ineinander verhäkelt“ (2007), S. 57.
199 Vgl. dazu auchKönig: „Geistige, privateVerbündung“ (1993).
200 Brecht:Hugo vonHofmannsthals „Adme ipsum“und seineBedeutung (1930),
S. 319.
201 König:Hofmannsthal (2001), S. 212.
202 Hofmannsthal/Brecht: Briefwechsel (2005), S. 146 (Brief vonHofmannsthal an
Brecht vom12. Jänner 1928).
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher