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II.1.ZwischenUniversität undStaatsverfassung –
Habilitationsverfahren inGraz undWien
Ihr erstes Gesuch um „Erteilung der Lehrbefugnis für neuere deutsche
Litteraturgeschichte“reichteTouaillonam24.Juni1919anderUniversität
Graz ein. Dem Schreiben lag eine beglaubigte Kopie ihrer Promotions-
urkunde, ihre im selbenMonat erschieneneMonographieDer deutsche
Frauenromandes18. Jahrhunderts, einLebenslaufundeinProgrammihrer
fürdieerstenSemestergeplantenVorlesungenbei.IngenauerKenntnisder
geltendenHabilitationsbestimmungen und vor demHintergrund der im
Entstehen begriffenen politischen und rechtlichen Gleichstellung von
Frauen undMännern durch die Verfassung der ErstenRepublik erklärte
Touaillon, dass sie „somit die Bedingungen erfüllt [habe], welche die
Verordnung des k.k.Min. für Kultus uUnterricht vom 11.2.1888, be-
treffenddieHabilitierung vonPrivatdozenten, stellt“27.
Wie aus einem vonTouaillon am30. Juni 1919 verfasstenNachtrag
zumHabilitationsgesuch hervorgeht, versuchte das Professorenkollegium
derGrazer philosophischen Fakultät jedoch bereits nach wenigen Tagen
denAntragTouaillonsaus formalenGründenzurückzuweisen.Zumeinen
wolltemanihrunterHinweisauf ihrenGeburtsortIglau/JihlavainMähren
die österreichische Staatsbürgerschaft absprechen;28 darauf antwortete
Touaillon,dasssie,dasieals„Frau[…]dieZuständigkeitdesGattenteilt“,
„dennochnachDeutschösterreichzuständig“sei.29Zumanderenversuchte
das Professorenkollegium darin, dass ihrWohnort nicht Graz, sondern
Stainzwar,einenVerstoßgegendieHabilitationsordnungzusehen.30Dem
setzteTouaillon folgendeErklärung entgegen:
27 HabilitationsgesuchvonChristineTouaillonvom24.Juni1919;UAG,Phil.Fak.,
Z. 1529 ex 1918/19.
28 Die österreichische Staatsbürgerschaft war für dieHabilitation zu dieser Zeit ei-
gentlich nicht verpflichtend. Erst die ständestaatlicheVerordnung von 1934 än-
derte die geltende Habilitationsnorm dahingehend ab, dass der Staatsbürger-
schaftsnachweiserbrachtwerdenmusste.VerordnungdesBundesministeriumsfür
Unterricht […] vom23.Mai 1934 […]betreffend dieZulassung unddie Lehr-
tätigkeit der Privatdozenten andenHochschulen (Habilitationsnorm) (1934).
29 NachtragzumHabilitationsgesuchvom30. Juni1919;UAG,Phil.Fak.,Z.1529
ex 1918/19.
30 Indernoch1919geltendenHabilitationsordnungvom11.Februar1888heißtes
in § 14, dass die „venia docendi erlischt, wenn ein Privatdocent […] seinen or-
dentlichen Wohnsitz außerhalb des Sitzes der Universität unter solchen Um-
ständenverlegt,dassdieregelmäßigeAbhaltungvonVorlesungenseitensdesselben
nicht gewärtigt werden kann“.Verordnung desMinisters fürCultus undUnter-
II.1. ZwischenUniversität und Staatsverfassung 93
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher