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vereinen“, verborgen geblieben sei.Da aber Fischerswesentliche künstle-
rischeVerdienste „auf allgemeinmenschlichemGebiete“ zu finden seien,
habe die Autorin, so Touaillon, „trotz dieses Irrweges nicht anWirkung
eingebüßt“. (Touaillon 1919, 629)
InderZusammenfassung ihrer Studie streichtTouaillon zunächst die
Ähnlichkeiten zwischendenvonFrauenunddenvonMännernverfassten
Romanen heraus: Sowohl Motivik, Gestaltung, Zeit und Ort als auch
Handlung, Weltbild, Tendenz und Ton des Frauenromans entsprächen
denen des Männerromans, was zum einen damit zu erklären sei, dass
Autorinnen „in ihremganzen geistigen Leben von vornherein unter dem
überwiegendenEinfluß desMannes“ gestanden seien, zum anderen aber
auch genealogische Ursachen habe, ein „ständiger Austausch geistiger
Merkmale zwischenMann und Frau“ also deshalb stattfinde, weil, wie
Touaillon betont, „die Anlagen sich häufig kreuzweise vererben“. (Tou-
aillon 1919, 634–625)Trotzdem identifiziertTouaillon auch eineReihe
von Unterschieden: So hätten sich Schriftstellerinnen stärker auf Stoffe
konzentriert, die ihrem unmittelbaren Lebensumfeld nahe standen, sich
eher von erotischen Szenen ferngehalten und pragmatische Lösungen in
zwischenmenschlichen Fragen bevorzugt. Sie hätten also, wie Touaillon
sich ausdrückt, eine „Realpolitik den Gefühlen gegenüber“ betrieben.
(Touaillon1919,637)DarüberhinausseienFrauen,dieim18.undfrühen
19. JahrhundertalsAutorinnenhervortraten,ganz imGegensatz zudenin
Literaturgeschichten häufig verbreitetenVorurteilen und imUnterschied
zu ihrenmännlichen Autoren, zumeist durch eine „Doppeltätigkeit“ be-
lastet gewesen.Diese habe,wieTouaillon hervorhebt, nicht nur aus ihrer
schriftstellerischen Arbeit, sondern vor allem auch aus der „tadellose[n]
Erfüllung ihrer familiärenPflichten“ bestanden. (Touaillon 1919, 638)
Die Ansicht, die deutschen Schriftstellerinnen des 18. Jahrhunderts wären
zumgrößtenTeil verstiegeneundüberspannteFrauenundunbefriedigte alte
Mädchen gewesen,welche ein erträumtes Lebendemwirklichen vorgezogen
und dabei ihre Pflichten vernachlässigt hätten, ist nichts als einMärchen.
(Touaillon 1919, 637)
ImVergleich zu denmännlichen Autoren hätten sich Schriftstellerinnen
außerdem häufiger mit sozialen und ökonomischen Belangen auseinan-
dergesetzt, vehementer gewaltsame Konflikte und Kriege abgelehnt und
eher „zum erzieherlichen Wirken“ geneigt. (Touaillon 1919, 642)
Gleichzeitig gebe es in den Frauenromanen, so Touaillon, nur selten
philosophische, natur- oder kunsttheoretische Erörterungen; eine „Spur
jenes heißen Ringens umdieWeltgeheimnisse, […]wie es im 18. Jahr-
II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 119
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher