Page - 137 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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litierten Frau inÖsterreich, die immer wieder betonte, dass sie an „die
Universität nicht als Frauenrechtlerin“159 gekommen sei und dass sie
„peinlich auf Gleichheit“ geachtet habe, damitman sie ja nicht als Frau
wahrnehme,160 trat Touaillon auch in ihrer Funktion als Privatdozentin
offensiv für feministische Belange ein. Auf der „Konferenz über Gleich-
berechtigungderFraueninÖsterreich“,dieam19.und20.März1927im
Festsaal des Ingenieur- undArchitektenvereins inWien stattfand, sprach
sie über das Thema „Hochschulen“ und beklagte öffentlich, dass es im
Unterschied zumStudium für Frauen „weniger günstig […] in der Frage
derGleichberechtigungmitdemakademischenLehramt“stehe,daeszwar
mit „größter Energie und Ausdauer“mittlerweile möglich sei, „die Do-
zentur zu erlangen […], aber andieErlangungder Professur […]derzeit
nicht zu denken“ sei.161
An der Universität schien man, wie ein Germanisten-Nachruf auf
Touaillon,dieam15.April1928imAltervonfünfzigJahrenstarb,162zeigt,
bei dieser streitbaren Privatdozentin zu einer Form der Domestizierung
übergegangen zu sein, bei der der im 18. Jahrhundert Autorinnen zuge-
schriebene Geschlechtscharakter auch auf Wissenschaftlerinnen übertra-
genwurde.Der langjährigeFreundundaußerordentlicheTitularprofessor
für das neuere FachRobert Franz Arnold, der Touaillon durchaus wohl-
gesonnenwar, hob in seinemNachruf fürdieMonatsschriftDieLiteratur
an Touaillon eine „fast mütterliche Teilnahme an allen, die da leiden“,
hervor, betonte,dass sie „für ihreSchützlingedurchdickunddünn“ging,
weshalb„dieseKinderlose[…]vieleKinder[hatte], solchesogar,diefrüher
jedochmiteinigemWiderstreben,daRichter sichnichtpolitischbetätigenwollte.
RichterlegteauchstetsWertdaraufzubetonen,dassessichumeine„,unpolitische‘
Vereinigung“ handelte. Richter: Summe des Lebens (1997), S. 100, S. 110 und
S.117–118,ZitatS.117.–TouaillonhingegenbemühtesichumeineAbgrenzung
zu „nationalistische[n]“Gruppierungen, so z.B. zumBund österreichischer Frau-
envereine,derihr„zusehrrechtsorientiert“war.BriefvonTouaillonanEliseRichter
vom30.Mai 1923;ÖNB,Handschriftensammlung, 266/47–2.
159 Richter: Summe des Lebens (1997), S. 110; vgl. auch dies.: Erziehung und
Entwicklung (1928), S. 92.
160 Richter: ErziehungundEntwicklung (1928), S. 84.
161 Touaillon: Hochschulen (1927). – Zum Ablauf und zu den Vortragenden der
Konferenz vgl. ausführlich [Anonym:] Konferenz über Gleichberechtigung der
Frauen inOesterreich (1927).
162 ZunächstwurdeTouaillonmitderDiagnose ,Klimakterium‘ indiepsychiatrische
AbteilungderLandesnervenklinikGrazeingewiesen;erstdieObduktionergabein
HerzleidenalsTodesursache.Bubenicˇek:WissenschaftlerinaufUmwegen(1987),
S. 13. II.4. Themenwahl und akademische Karriere 137
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher