Page - 16 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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16 Eveline G. Bouwers
spiegelt die Konzentration von Gewalt, die in Zusammenhang mit dem
Katholizismus steht, auf dem europäischen Kontinent im 19. Jahrhundert
wider. Während sie in den USA nie ein großes Thema war, nahm die Gewalt
im religiösen Bereich in Lateinamerika vor allem mit der Durchsetzung des
bürokratischen Staates im 20. Jahrhundert zu7. Eine weitere Eingrenzung
bildet der hier verwendete Gewaltbegriff. »Gewalt« wird in diesem Band vor-
rangig im Sinne von »violentia« als physische Gewalt verstanden, wenngleich
die einzelnen Beiträge auch andere Gewaltformen, darunter strukturelle und
symbolische Gewalt, in ihre Analysen mit einbeziehen, und mit dem Streit
zwischen Staats- und Kirchengewalt auch die Frage nach Gewalt im Sinne
von »potestas« omnipräsent war8. Damit legt der Band die Aufmerksamkeit
auf ein Themenfeld, das nach Ansicht einiger Historiker für das 19.
Jahrhun-
dert eher unbedeutend gewesen sei9.
Im Folgenden wird zunächst knapp der übergreifende historische Kontext
der Fallstudien skizziert, wobei das Hauptaugenmerk auf zwei entgegenge-
setzten Bewegungen des 19. Jahrhunderts liegt: Säkularisierung und welt-
anschauliche Pluralisierung einerseits, inner-katholische Vereinheitlichung
und Zentralisierung andererseits. Neben einer Vielzahl säkularer Faktoren
–
man denke an die Ausdehnung des modernen Staates, an die Entstehung
von neuen Protestkulturen oder an die Verbreitung der Presse – erklärt das
allmähliche Voranschreiten dieser Prozesse, weshalb die zweite Jahrhun-
derthälfte eine Vermehrung von religionsbezogenen Gewaltakten und eine
Verdichtung der diesbezüglichen Rhetorik (»Kreuzzug«, »Heiliger Krieg«,
»Märtyrertum«) aufweist. Im zweiten Teil werden einige Theorien über
7 Für eine Ausnahme hiervon, siehe auch Katie Oxx, The Nativist Movement in Ame-
rica. Religious Conflict in the 19th Century, New York 2013. Für Lateinamerika,
siehe auch die Referenzen bei Silke Hensel / Hubert Wolf (Hg.), Die katholische
Kirche und Gewalt. Europa und Lateinamerika im 20. Jahrhundert, Köln 2013.
8 Mit »struktureller Gewalt« (Johan Galtung) ist der Unterschied gemeint zwischen
dem, was Menschen potenziell erreichen können und dem, was sie
– aufgrund exter-
ner Umstände – tatsächlich erreichen (werden). Dahingegen geht es bei »symboli-
scher Gewalt« (Pierre Bourdieu) um jene »Denkformen, Vorstellungen und Klassifi-
kationsschemata, […] mit denen die Herrschenden die Legitimität der bestehenden
Macht- und Herrschaftsverhältnisse begründen«. Während Galtungs Gewaltbegriff
systemimmanent ist, geht es bei Bourdieu um Sozialisation, vgl. Johan Galtung,
Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Reinbek 1982,
S. 9; Heinz-Gerhard Haupt, Gewalt und Politik im Europa des 19. und 20. Jahr-
hunderts, Göttingen 2012, S. 21. Für klassische deutschsprachige Beiträge, die
einen physischen Gewaltbegriff verwenden, siehe auch Thomas Lindenberger / Alf
Lüdtke, Physische Gewalt. Eine Kontinuität der Moderne. Einleitung, in: Dies.
(Hg.), Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt a.M. 1995,
S.
7–38; Gertrud Nummer-Winkler, Überlegungen zum Gewaltbegriff, in: Wilhelm
Heitmeyer / Hans-Georg Soeffner (Hg.), Gewalt. Entwicklungen, Strukturen,
Analyseprobleme, Frankfurt a.M. 2004, S. 21–61, insbes. S. 27–38.
9 Vgl. die Verweise in Fußnote 3.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918