Page - 19 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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19Glaube
und Gewalt
wurde das Evangelium von »Säkularisierung« und »Pluralisierung« in den
von Frankreich annektierten oder unter ihrem politischen sowie kulturellen
Einfluss stehenden Gebieten verbreitet, wo es zum Teil auf regen Widerstand
stieß. Dennoch gilt es zu bedenken, dass viele Reformen nach dem Zusam-
menbruch des Napoleonischen Systems beibehalten wurden, der Wiener
Kongress also nur begrenzt eine »kirchenpolitische Zäsur« darstellte17.
Ihrer politischen Macht größtenteils entzogen, definierte sich die Rö-
misch-Katholische Kirche neu. Aus den Priesterseminaren ging, angetrieben
von Papst Pius VII. und seinem brillanten Staatssekretär Ercole Consalvi,
ein stramm hierarchisch organisierter Klerus hervor. Die Klosterorden erleb-
ten einen beeindruckenden Zuwachs, wobei neugegründete Kongregationen
zunehmend den Platz der kontemplativen Orden einnahmen. Die neuen
Ordensgemeinschaften waren mehrheitlich in der Bildung und Erziehung,
Kranken- und Sozialpflege, wie auch in der Missionierung tätig und wurden
aufgrund dieses Engagements zu einer wichtigen Stütze moderner Gesell-
schaften – und ab der zweiten Jahrhunderthälfte zum Rückengrat des sich
ausdehnenden europäischen Kolonialismus. Zugleich wurde mithilfe einer
heranwachsenden Vereinskultur eine neue Religiosität vermittelt, die sich an
Wundern, Mysterien und der Nähe zu Christi orientierte und stark emoti-
onal aufgeladen war. Ein weiterer und damit verbundener Bestandteil des
»neuen Katholizismus« (Christopher Clark) war die Volksfrömmigkeit 18.
Sie fand ihren Ausdruck u.a. in der zunehmend populären Prozessions- und
Wallfahrtkultur19. In diesem Zusammenhang ist oft auf die prägende Rolle
von Frauen für den Katholizismus dieser Zeit hingewiesen worden; sie traten
in großer Zahl in die Ordensgemeinschaften ein und stellten oft die Mehr-
heit der Gläubigen. Auch die Verehrung Marias, beschleunigt durch die Dog-
matisierung der Unbefleckten Empfängnis im Jahr 1854, kann als Teil dieser
Entwicklung gewertet werden20. Dennoch ist die These einer angeblichen
17 Siehe auch Heinz Duchhardt / Johannes Wischmeyer (Hg.), Der Wiener Kongress.
Eine kirchenpolitische Zäsur?, Göttingen 2013 (VIEG Beiheft 97); Brian Vick, The
Congress of Vienna. Power and Politics after Napoleon, Cambridge 2014, S.
153–192.
18 Vgl. Christopher Clark, The New Catholicism and the European Culture Wars, in:
Ders. / Kaiser (Hg.), Culture Wars, S. 11–46.
19 Siehe auch David Blackbourn, Marpingen. Apparitions of the Virgin Mary in
Bismarckian Germany, Oxford 1993; Irmtraud Götz von Olenhusen (Hg.), Wun-
derbare Erscheinungen: Frauen und katholische Frömmigkeit im 19. und 20. Jahr-
hundert, Paderborn 1995; Ruth Harris, Lourdes. Body and Spirit in the Secular
Age, London 1999; Paul d’Hollander (Hg.), L’ Église dans la Rue. Les Cérémonies
Extérieures du Culte en France au XIXe Siècle, Limoges 2001.
20 Vgl. Manuel Borutta, Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der
europäischen Kulturkämpfe, Göttingen 2010, v.a. S. 366–386.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918