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20 Eveline G. Bouwers
»Feminisierung« des Katholizismus im 19. Jahrhundert mit Vorsicht zu
behandeln, zumal sie, wie bereits öfters bemängelt wurde, die Geschlechter-
perspektive auf Frauen reduziert 21.
Der neue Katholizismus war eng mit dem »Ultramontanismus« verbun-
den. Mit dem Begriff ist die verstärkte Orientierung von Katholiken auf Rom
und eine damit einhergehende Zentralisierung des Kirchenlebens gemeint,
was sich u.a. in der vom Heiligen Stuhl befürworteten Verehrung von Maria
und dem Herzen Jesu, in der Vormachtstellung päpstlicher Ordensgemein-
schaften und in der reihenweisen Veröffentlichung von Enzyklika aus-
drückte22. Auch wenn die Päpste so das (inter)nationale katholische Leben
zu steuern versuchten, war der Ultramontanismus keine Erfindung Roms;
vielmehr wurde die Bewegung durch die bedrängte Lage der Päpste – ange-
fangen mit Pius VI. und Pius VII., die aufgrund ihres Widerstands gegen
die Revolutionäre und Napoleon als »Märtyrer« des Katholizismus gefeiert
wurden – und durch ein Ringen um Macht zwischen Nachwuchsklerikern
und Bischöfen begünstigt. Die Beteiligung des jüngeren Klerus lässt bereits
vermuten, dass die Gleichstellung des Ultramontanismus mit einer rück-
wärtsgewandten Bewegung zu kurz greift. Tatsächlich versuchte die römi-
sche Kirche, trotz der Tatsache, dass sie ihr Schicksal oft mit dem politischen
Konservatismus verband, den gesellschaftlichen Wandel mitzusteuern und
griff zu diesem Zweck auf moderne Kommunikationsmittel zurück23. Auch
deshalb konnte die ultramontane Kirche eine Wirkkraft weit über die Gren-
zen des schrumpfenden Kirchenstaats hinaus entfalten.
Kennzeichnend für die ultramontane Bewegung war u.a. die Mili-
tanz ihrer Anhänger. Einerseits erklärt sich dies aus dem Streit mit einem
21 Siehe auch Claude Langlois, Le Catholicisme au Féminin. Les Congrégations Fran-
çaises à Supérieure Générale au XIXe Siècle, Paris 1984. Für eine Kritik, siehe auch
Patrick Pasture u.a. (Hg.), Gender and Christianity in Modern Europe. Beyond the
Feminization Thesis, Leuven 2012. Eine Perspektive, die auch die anderen Buchre-
ligionen miteinbezieht, bietet Michaele Sohn-Kronthaler (Hg.), Feminisierung
oder (Re-)Maskulinisierung der Religion im 19. und 20. Jahrhundert? Forschungs-
beiträge aus Christentum, Judentum und Islam, Wien 2016.
22 Von ultra montanes (»über den Bergen«); gemeint sind die Alpen; vgl. Clark, The
New Catholicism, S. 18–23; O’Malley, Vatican I, S. 55–95. Siehe auch die aktuellen
Forschungsarbeiten von Olaf Blaschke und Francisco Javier Rámon Solans, die im
Rahmen des Münsteraner Excellenzclusters »Religion und Politik. Dynamiken von
Tradition und Innovation« die Geschichte des Ultramontanismus seit dem 19. Jahr-
hundert erforschen. Für die Frühgeschichte des Ultramontanismus, der erst nach
1800 zu einer Bewegung von unten wurde, siehe auch Otto Weiss, Der Ultramonta-
nismus. Grundlagen – Vorgeschichte – Struktur, in: Zeitschrift für bayerische Lan-
desgeschichte 41 (1978), S. 821–877, hier S. 851.
23 Vgl. Margaret Lavinia Anderson, The Divisions of the Pope. The Catholic Revival
and Europe’s Transition to Democracy, in: Austen Ivereigh (Hg.), The Politics of
Religion in an Age of Revival, London 2000, S. 22–42.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918