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21Glaube
und Gewalt
zunehmend selbstbewussten und kämpferischen Antiklerikalismus24. An-
derseits konnte der Ultramontanismus mit verschiedenen politischen Ideen
gefüllt werden, d.h. mit absolutistisch-reaktionären (man denke an Juan
Donoso Cortés, Joseph de Maistre, Louis Veuillot und William George
Ward), konservativen (Joseph Görres und Henry Edward Manning) und
liberalen (Félicité de Lamennais). Diese Pluralität befeuerte einen Kampf um
Deutungshoheit innerhalb des katholischen Lagers, die Positionen am Rand
des Spektrums oft begünstigte25. Ähnliches taten die Medien, darunter die
1850 gegründete Zeitung La Civiltà Cattolica, die Sprachrohr für den Hei-
ligen Stuhl und Herzstück eines internationalen Netzwerks in einem war26.
Hervorgetan hat sich diese Militanz vor allem seit den 1830er Jahren, was
teils an einem Generationenwechsel innerhalb der Kirche lag
– die ersten ul-
tramontan ausgebildeten Priester kamen nun auf Bischofsstühlen –, aber auch
auf das Konto des 1831 zum Papst gewählten Bartolomeo Cappellari zurück-
geht, der als Gregor XVI. reihenweise Enzyklika veröffentlichte. Mit Mirari
Vos (1832) erteilte er dem Rationalismus, der religiösen Indifferenz sowie der
Gewissens- und Meinungsfreiheit eine klare Absage27. Ein ungleich härterer
Schlag für moderate Kräfte innerhalb der Kirche folgte zwei Jahre später mit
der Enzyklika Singulari Nos, die offiziell eine Attacke auf die Ideen von De
Lamennais war, tatsächlich aber einer pauschalen Verurteilung des (katholi-
schen) Liberalismus gleichkam. Auf den Tod von Gregor XVI. im Jahr 1846
folgte eine kurze Entspannungsphase, doch die Neigung seines Nachfolgers
Giovanni Mastai-Ferretti zum liberalen Gedankengut überlebte die Wirren
der Römischen Republik (1848–49) nicht 28.
Es war Pius IX., der erstmals in der Geschichte des Papsttums überhaupt
ein Dogma erklärte: das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Marias
24 Siehe auch Borutta, Antikatholizismus; Lisa Dittrich, Antiklerikalismus in
Europa. Öffentlichkeit und Säkularisierung in Frankreich, Spanien und Deutsch-
land (1848–1914), Göttingen 2014; Wolfram Kaiser, »Clericalism – that is our
enemy!«: European Anticlericalism and the Culture Wars, in: Clark / ders. (Hg.),
Culture Wars, S. 47–76; Timothy Verhoeven, Transatlantic Anti-Catholicism.
France and the United States in the Nineteenth Century, Basingstoke 2010; Yvonne
Maria Werner / Jonas Harvard (Hg.), European Anti-Catholicism in a Compara-
tive and Transnational Perspective, Amsterdam 2013.
25 Dazu der Beitrag von Mary Vincent. Siehe auch Jeffrey Paul von Arx (Hg.), Varieties
of Ultramontanism, Washington 1998; O’Malley, Vatican I, S. 63–72.
26 Siehe auch Vincent Viaene, The Roman Question. Catholic Mobilisation and Papal
Diplomacy during the Pontificate of Pius IX (1846–1878), in: Emiel Lamberts (Hg.),
The Black International / L’ Internationale Noire (1870–1878). The Holy See and Mili-
tant Catholicism in Europe. Le Saint-Siège et le Catholicisme Militant en Europe,
Leuven 2002, S. 135–177.
27 Vgl. Owen Chadwick, A History of the Popes 1830–1914, Oxford 1998, S. 23–31.
28 Ebd., S.
61–94. Zu Papst Pius
IX., siehe zuletzt auch David I. Kertzer, The Pope Who
Would Be King. The Exile of Pius IX and the Emergence of Modern Europe, Oxford
2018.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918