Page - 23 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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23Glaube
und Gewalt
mit der liberalen Regierung von Präsident Sebastián Lerdo, in Belgien kri-
tisierten katholische Politiker die anti-liberale Haltung vieler Bischöfe und
im österreichischen Küstenland umarmte ein kleinerer Teil der Bischöfe und
des südslawischen niederen Klerus partikularnationalen Bestrebungen, wie
die Einführung der altslawischen Liturgiesprache, trotz Zurückhaltung im
Vatikan. Nach Pius Tod 1878 machte sich Leo XIII. diese versöhnlichen Töne
zu eigen. So strebte er u.a. die Beendigung des »Kulturkampfs« im Deutschen
Kaiserreich an, forderte französische Katholiken dazu auf, die republikani-
sche Staatsform zu akzeptieren (»ralliement«), und ging auf die slawischen
Völker zu34. Es war eine bemerkenswerte Abkehr von der konfrontativen
Haltung des älteren Pius, die Leo allerdings weder vor antiklerikalen Atta-
cken noch vor Kritik aus konservativ-katholischen Kreisen schützte35. Den-
noch verhalf er der Kirche zu einer neuen gesellschaftlichen Relevanz, indem
er u.a. neue Weichen in der Sozialpolitik stellte sowie die Missionsarbeit
förderte36.
Papst Leos 1903 angetretener Nachfolger auf dem Stuhl Petri vertrat wie-
derum eine konservativere Linie. Diese Akzentverschiebung zeigt sich in der
Festigung des theologischen Anti-Modernismus, wovon die Verabschiedung
eines Motu Proprio, das den Klerus und weitere Kirchenvertreter zu einem
Eid gegen den Modernismus verpflichtete, den symbolischen Höhenpunkt
bildete37. Sie zeigt sich aber auch in Giuseppe Sartos konfrontativem Um-
gang mit weltlichen Staaten. Innerhalb weniger Jahre gab es Streit mit meh-
reren katholischen Ländern – der Abbruch der diplomatischen Beziehungen
mit Frankreich war nur das sichtbarste Beispiel –, wie auch mit Ländern, wo
Katholiken eine Minderheit bildeten, wie Großbritannien und Russland38.
Zudem sorgte der Umgang von Pius
X. mit nationalen Bewegungen, wie z.B.
34 Für die neue Ausrichtung der päpstlichen Politik unter Leo XIII. siehe die Beiträge
von Winfried Becker, Andreas Gottsmann und Massimiliano Valente in Jörg Zedler
(Hg.), Der Heilige Stuhl in den internationalen Beziehungen, 1870–1939, München
2010. Bereits in der Enzyklika Grande Munus (1880) würdigte Leo das Wirken der
slawischen Heiligen Kyrill und Methodius. Für Leos versöhnende Haltung gegen-
über der slawischen Kultur siehe auch den Beitrag von Péter Techet in diesem Band.
35 Vgl. Vincent Viaene, Nineteenth-Century Catholic Internationalism and Its Prede-
cessors, in: Abigail Green / Vincent Viaene (Hg.), Religious Internationals in the
Modern World. Globalization and Faith Communities since 1850, Basingstoke 2012,
S. 82–110, hier S. 102.
36 Zum Thema Mission siehe auch die Kapitel von Richard Hölzl und Katharina Stornig.
37 Bereits Leo XIII. hatte die Neuscholastik, die sich an der mittelalterlichen Kirchen-
lehre, insbesondere an Thomas von Aquin, orientierte, zur Lehre der katholischen
Kirche erhoben (siehe dazu die Enzyklika Aeterni Patris von 1879). Unter Pius X.
wurde allerdings härter gegen den Modernismus vorgegangen, wie aus dem Dekret
Lamentabili Sane Exitu und der Enzyklika Pascendi Dominici Gregis, beide aus 1907,
hervorgeht. Zum sogenannten »Antimodernistenstreit« siehe auch Claus Arnold,
Kleine Geschichte des Modernismus, Freiburg 2007, S. 89–137.
38 Chadwick, A History of the Popes, S. 377–483.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918