Page - 24 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 24 -
Text of the Page - 24 -
24 Eveline G. Bouwers
seine ablehnende Haltung gegenüber der »Slawenpolitik« seines Vorgän-
gers, für Spannungen39. Die Schuld an diesen Schwierigkeiten trug Pius X.
sicherlich nicht alleine. Dennoch vertiefte seine mangelnde Kompromiss-
bereitschaft, auch gegenüber gemäßigten katholischen Laienvereinen, wie
dem italienischen »Opera dei Congressi« und dem französischen »Le Sillon«,
bestehende Gräben. Dahingegen strebte sein Nachfolger Benedikt XV. eine
Annäherung von Staat und Kirche an, die allerdings durch den Ausbruch des
Ersten Weltkriegs ins Stocken geriet 40.
Die für das 19.
Jahrhundert charakteristische innere Dynamik des Katho-
lizismus und die Konfrontation mit säkularisierenden Kräften, darunter
ganz prominent mit dem Phänomen der »Nation« und des »Nationalismus«,
erklären teils auch den sich stetig verschiebenden Umgang mit dem kon-
fessionellen oder religiösen Anderen41. Dieser bewegte sich aufgrund des
Selbstbewusstseins, das die Kirche aus der Restoration schöpfte, zwischen
Ausblendung, Diskriminierung und Ausgrenzung einerseits, offenbarte
jedoch anderseits gelegentlich Versuche zur interreligiösen Annäherung42.
Protestanten und Orthodoxen wurde öfter auf Augenhöhe begegnet (eine
Ausnahme bildete der konfessionelle Konflikt auf der irischen Insel). Dahin-
gegen sahen sich nichtchristliche Minderheiten mit Exklusion konfrontiert.
Die Emanzipation der Juden, die in Folge der Französischen Revolution
auch in anderen Teilen Europas gesetzlich geregelt wurde und die jüdischen
Bürgern zu einer neuen gesellschaftlichen Präsenz verhalf, trug teilweise zu
einer Verunsicherung unter Katholiken bei, die zunehmend antijüdische
39 Siehe auch Alojz Ivanišević, Katholizismus und die nationale Identität der Kro-
aten von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1918, in: Alois Mosser (Hg.), »Got-
tes auserwählte Völker«. Erwählungsvorstellungen und kollektive Selbstfindung
in der Geschichte, Frankfurt a.M. 2001, S. 217–232. Generell siehe auch Andreas
Gottsmann, Rom und die nationalen Katholizismen in der Donaumonarchie.
Römischer Universalismus, habsburgische Reichspolitik und nationale Identitäten,
1878–1914, Wien 2010.
40 Die pazifistische Einstellung von Benedikt XV. sorgte gerade in nichtkatholischen
Ländern für Aufsehen und Kritik, wie Michael Snape in diesem Band zeigt.
41 Zum Verhältnis von Nation und Religion siehe u.a. Urs Altermatt / Franziska
Metzger (Hg.), Religion und Nation. Katholizismen im Europa des 19. und 20.
Jahr-
hunderts, Stuttgart 2007; Martin Geyer / Hartmut Lehmann (Hg.), Religion und
Nation. Nation und Religion, Göttingen 2004; Heinz-Gerhard Haupt / Dieter Lan-
gewiesche (Hg.), Nation und Religion in Europa, Frankfurt 2004; Martin Schulze-
Wessel (Hg.), Nationalisierung der Religion und Sakralisierung der Nation im öst-
lichen Europa, Stuttgart 2006. Einen theoretischen Impuls bietet Rogers Brubaker,
Religion and Nationalism: Four Approaches, in: Nations and Nationalism 18 (2012),
H. 1, S. 2–20.
42 Ein interessantes Beispiel für die Annäherung
– in diesem Fall zwischen dem Katho-
lizismus und der (serbischen) Orthodoxie – war der kroatisch-slawonische Bischof
Josip Juraj Strossmayer aus Đakovo / Diakowar. Vgl. Leopold Auburger, Grundzüge
der kroatischen und südslawischen Kulturpolitik von Josip Juraj Strossmayer, in:
Zeitschrift für Balkanologie 48 (2012), H. 1, S. 22–50.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918