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44 Philip Dwyer
Bestrebungen verbunden gesehen, so wie es mitunter auch der Fall war –
etwa in der französischen Vendée, wo die Aufständischen sich christlicher
Symbole wie dem Kreuz »im Kampf gegen den ihren Gegnern unterstellten
Atheismus« bedienten3.
Tatsächlich aber war der Katholizismus einer der wesentlichen Reibungs-
punkte zwischen den entschieden säkularen, antiklerikalen französischen
Heeren und den Bevölkerungen, mit denen sie in Kontakt kamen. Jean-
Clément Martin hat gar die These aufgestellt, die Revolution sei der letzte
der französischen »Religionskriege« gewesen; beim »Verständnis des Sakra-
len […] [handele es sich um] die zentrale (und verborgene) Dimension der
Geschichtsschreibung der Revolution«4. Von entscheidender Bedeutung für
die vorliegende Studie ist also, zu bestimmen, inwiefern die vorrevolutionäre
»religiöse Gewalt« mit der Gewalt der Revolution zusammenhing, oder ob
diese vielmehr einen Bruch mit jener darstellte. Die Studie von Caroline Ford
zur »religiösen Gewalt« im Frankreich des 19. Jahrhunderts legt den Schluss
nahe, dass zwischen revolutionärer und vorrevolutionärer Gewalt im Hin-
blick auf das Heilige ganz grundsätzliche Unterschiede bestanden, und zwar
in dreierlei Hinsicht: Die Gewalt erschien nicht mehr in Gestalt von Opfer-
massakern und körperlicher Verstümmelung; es drückte sich in ihr nicht
mehr ein Konfessionsstreit zwischen Protestanten und Katholiken aus, son-
dern ein Konflikt mit dem antiklerikalen Staat; und sie wurde zunehmend
regionalisiert und feminisiert, wie das Beispiel des französischen Westens
während der Revolutionszeit bezeugt5.
Fords Argumentation ist überaus wertvoll, doch gilt sie eher für das
französische Kernterritorium, das Hexagon. Übertragen auf den weiteren
imperialen Raum, den Frankreich ab 1792 in Europa einnahm, überzeugt
sie hingegen viel weniger. Zwar kam es auch während der Revolutionszeit
zu Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken, doch
forderten sie weitaus weniger Opfer als noch im 16. und 17. Jahrhundert.
3 Vgl. Blanning, The Role of Religion, S. 195. In Spanien galten die Franzosen als
Ketzer; vgl. Scott Eastman, Soldiers, Priests and the Nation. From Wars of Religion
to Wars of National Independence in Spain and New Spain, in: Estudios Interdiscip-
linarios de América Latina y el Caribe 22 (2011), H. 1, S. 13–32, hier S. 17–19.
4 Vgl. Jean-Clément Martin, Martyrs et Révolution Française, autour du Sacré, un-
veröffentlichtes Manuskript 2013, URL: <www.academia.edu/10051882/Martyrs_
et_R%C3%A9volution_fran%C3%A7aise_autour_du_sacr%C3%A9> (15.12.2018).
Martin steht mit seiner Einschätzung, die für die revolutionäre Epoche charakte-
ristische Gewalt sei wesentlich religiös geprägt, nicht allein. Jenseits des Hexagons
hat Nigel Aston ebenfalls dargestellt, welche Rolle Religion darin spielte, Menschen
gegen die Franzosen zu den Waffen greifen zu lassen – sogar bis in die letzten Jahre
des Empire hinein und nach der Katastrophe des Russlandfeldzugs; vgl.
Nigel Aston,
Christianity and Revolutionary Europe, 1750–1830, Cambridge 2002, S. 281–291.
5 Vgl. Caroline Ford, Violence and the Sacred in Nineteenth-Century France, in:
French Historical Studies 21 (1998), H. 1, S. 101–112, hier S. 105.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918