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46 Philip Dwyer
Napoleonischen Kriege in den Vordergrund gerückt werden. Wie hier aus-
geführt wird, markieren diese Kriege eine Übergangsphase zwischen der
frühneuzeitlichen Welt und jener der Moderne und damit eine Phase, in der
Gewalt sowohl vom revolutionären Staat ausging und sich gegen religiöse
Traditionen wandte, wie auch von den Gläubigen zum Schutze ihrer Reli-
gion eingesetzt wurde. Das gilt auch für die »religiöse Gewalt«, die an die
frühneuzeitlichen Religionskriege erinnerte und zugleich Aspekte moderner
Gewaltformen vorwegnahmen. Der Beitrag schließt mit einigen Gedanken
zur breiteren Frage des Verhältnisses von Religion und Gewalt jenseits des
Paradigmas von Revolution und Gegenrevolution.
Der Säkularisierungsdrang der revolutionären und
napoleonischen Heere
Bevor wir uns der Frage zuwenden, was die »religiöse Gewalt« in der revo-
lutionären und napoleonischen Zeit so außergewöhnlich machte, müssen
wir uns kurz dem Wesen und den Ursprüngen des französischen Anti-
klerikalismus zuwenden, wie auch der Art und Weise, wie er ins restliche
Europa exportiert wurde. Das Frankreich des Ancien Régime fußte auf einer
seit Jahrhunderten bestehenden Übereinkunft zwischen Monarchie, Staat
und Kirche. Bedeutsam war dabei insbesondere das Verhältnis zwischen
der Monarchie und dem Sakralen, war doch die Kirche völlig in den Staat
integriert. Auch deshalb war der erste Impuls der Revolutionäre, die weltli-
che Gewalt von der geistlichen zu trennen. Hieraus erwuchs die sogenannte
Zivilverfassung des Klerus, welche die Beschlagnahmung aller kirchlichen
Ländereien vorsah und vom Klerus einen Treueschwur auf die Verfassung
verlangte. Sie wurde im November 1790 eingeführt und markierte das
Bestreben, die Kirche der Kontrolle des revolutionären Staates zu unterwer-
fen10. Die Reformbestrebungen der Revolution und die Auflösung tradierter
Strukturen und Institutionen des Ancien Régime hatten bereits zu gewalti-
gen gesellschaftlichen Spannungen zwischen Konservativen und Reformern
geführt, doch die Ablehnung der Zivilverfassung durch Papst Pius VI. im
Frühjahr 1791 brachte den endgültigen Riss11. Ab diesem Augenblick muss-
ten sich die Menschen für oder gegen die Revolution und damit für oder
gegen die Kirche aussprechen. Infolgedessen setzte sich bei vielen Revoluti-
onären die Vorstellung eines unauflöslichen Bundes zwischen katholischer
10 Siehe auch Timothy Tackett, Religion, Revolution, and Regional Culture in Eight-
eenth-Century France. The Ecclesiastical Oath of 1791, Princeton 1986.
11 Vgl. Suzanne Desan, Reclaiming the Sacred. Lay Religion and Popular Politics in
Revolutionary France, Ithaca 1990, S. 12–18.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918