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68 Eveline G. Bouwers
Gläubigen zugunsten der Kirche verübt wurden. Der zeitliche Fokus liegt
auf der Periode zwischen dem Kollaps des Unionismus im Jahr 1857 und
den frühen 1880er Jahren, wobei der katholische Widerstand zum Schulge-
setz von 1879 im Mittelpunkt steht. Geographisch liegt der Fokus auf den
Provinzen Ost- und Westflandern; hier konnte die Katholische Partei wäh-
rend dem untersuchten Zeitraum nahezu überall Wahlerfolge verzeichnen –
ein Erfolg, den Historiker u.a. mit dem ländlichen Charakter der Region,
die von Bauernbetrieben kleinerer und mittlerer Größe dominiert wurde,
erklärt haben12.
Im Folgenden soll zunächst auf religionsbezogene Gewalterfahrungen und
-vorstellungen vor 1879 eingegangen werden. Die lokale Rezeption von Van
Humbeecks Schulgesetz wird am Beispiel eines Exzesses im Dorf Heule nahe
Kortrijk beleuchtet, das im Kontext weiterer katholischer Protestpraktiken
eingeordnet wird. Abschließend soll auf die Bedeutung von Gewalt für den
religiös-weltanschaulichen Konflikt in Belgien, wie auch auf das Verhältnis
von Glaube und Gewalt generell eingegangen werden. Insgesamt schlägt die-
ses Kapitel mithilfe einer Analyse des (gewaltsamen) Widerstandes gegen das
Gesetz vom 1. Juli 1879 eine neue Periodisierung des Konfliktes vor, der in
der Historiographie als »Schulstreit« bekannt ist. Der Begriff unterstreicht
die Konflikthaftigkeit des Ringens um den Grundschulunterricht, sugge-
riert aber aufgrund einer temporären Engführung auf die Jahre 1879–1884
(d.h. bis zum Sturz der liberalen Regierung Frère-Orban-II) eine Kontinuität
bzw. Homogenität, die es nie gab13. Abgesehen davon, dass der Kampf gegen
die Gemeindeschule nach dem Widerruf des Gesetzes Van Humbeeck noch
Contemporaine / Belgisch Tijdschrift voor Nieuwste Geschiedenis 11 (1980), H. 1–2,
S. 119–169; Christian Vreugde, La guerre scolaire dans la région de Bruges (1878–
1884), Leuven 1984.
12 Vgl. Henk De Smaele, Rechts Vlaanderen. Religie en stemgedrag in negentiende-
eeuws België, Leuven 2009, S. 60–61, 126; Leen Van Molle, Katholieken en land-
bouw. Landbouwpolitiek in België, 1894–1914, Leuven 1989, S.
351. Auch in Flandern
gab es jedoch liberale Zentren. Siehe auch Véronique Adriaens, Liberalisme op het
Zuid-Oostvlaamse platteland in de 19e eeuw, Gent 1991.
13 Es gibt eine lange Tradition in der belgischen Geschichtsschreibung, die von einem
»Schulstreit« (»schoolstrijd« und »guerre scolaire«) in den Jahren 1879–1884 spricht.
Siehe auch Deneckere, Geuzengeweld, S.
99–143; Gita Deneckere, Nieuwe geschie-
denis van België, in: Witte u.a. (Hg.), Nieuwe geschiedenis, Bd. 1, S. 447–664, hier
S. 477–499; De Smaele, Rechts Vlaanderen, S. 202–208; Lermyte, Voor de ziel
van het kind; Lory, Libéralisme et instruction primaire; Els Witte u.a., Politieke
geschiedenis van België van 1830 tot heden, Antwerpen 72005, S. 99–102. Kritischer
zu einer Periodisierung ist Jeffrey Tyssens, De schoolkwestie tijdens de regering
Frère-Orban (1878–1884), in: Tijdschrift van het Gemeentekrediet 50 (1996), H. 195,
S. 97–111. Eine abweichende Periodisierung, welche 1880 als Zäsur annimmt – es sei
der Anfang einer »société scolarisée« – findet man bei Marc Depaepe u.a., Orde in
Vooruitgang. Alledaags Handelen in de Belgische Lagere School (1880–1970), Leuven
1999.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918