Page - 69 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 69 -
Text of the Page - 69 -
69Von
Gewalt und Märtyrertum
jahrzehntelang weitergeführt wurde, offenbart die hiesige Analyse lokaler
Widerstandsaktionen eine Zäsur im Winter 1880 / 8114. Der Fokus auf Gewalt
ist hier von zentraler Bedeutung; er zeigt, dass der Konflikt um den Grund-
unterricht zunächst von katholischen Eliten geprägt war, anschließend auf
die Straße ging, bis mit der Etablierung des freien Grundschulunterricht die
Gewalt erneut eher latent wurde.
Differenzen um den religiösen Raum:
Gewaltepisoden vor 1879
Bereits vor dem als »Bürgerkrieg« in die Annalen eingegangen Streit um
die partielle Säkularisierung des Grundschulunterrichts war es mehrmals
zu öffentlichen Streitigkeiten um die Grenzen des klerikalen Einflusses
gekommen15. Den Anfang machte das bereits erwähnte Gesetz der Wohl-
tätigkeitseinrichtungen von 1857. Da liberale Kräfte eine Ausbreitung der
»Toten Hand« befürchteten, zogen sie auf die Straße, um gegen das Gesetz
zu protestieren. Die vom Kleinbürgertum dominierten Manifestationen
bestanden größtenteils aus Märschen, bei denen Katholiken beschimpft
sowie körperlich attackiert und Liberale bejubelt wurden, schlugen aber gele-
gentlich in gewalttätige Auseinandersetzungen über. Laut Deneckere dienten
die Proteste vor allem der Anfechtung politischer Entscheidungen, »welche
die öffentliche Initiative stark benachteiligten«16. Doch ein genauerer Blick
jenseits der urbanen Zentren zeigt, dass die Proteste von 1857 alsbald von
Anfeindungen ergänzt wurden, die weniger zweckrational als vielmehr im
Sinne eines aufkeimenden Antiklerikalismus bzw. -katholizismus einerseits,
und eines Antiliberalismus anderseits zu erklären sind17. Die folgenden Kon-
flikte um die Kirchhöfe und Wahlen belegen dies.
Das Dekret vom 23. Prairial an XII (12. Juni 1804) über das Bestattungs-
wesen sicherte den Bürgermeistern die Aufsicht über die Kirchhöfe zu und
befahl die Beerdigung aller Toten am gleichen Ort – zumindest solange
14 Für die Bildungsfrage nach 1884 siehe auch Tyssens, Om de schone ziel, S. 83–194.
15 Vgl. De Maeyer, De rode baron, S. 156; Karel Van Isacker S.J., Werkelijk en wet-
telijk land. De katholieke opinie tegenover de rechterzijde, 1863–1884, Antwerpen
1955, S. 177.
16 Deneckere, Geuzengeweld, S. 39. Für die Proteste gegen das Gesetz vom 1857 siehe
auch ebd., S.
37–61; Emiel Lamberts, Kerk en liberalisme in het bisdom Gent (1821–
1857). Bijdrage tot de studie van het liberaal-katholicisme en het ultramontanisme,
Leuven 1972, S. 452–481; Witte, The Battle for Monasteries, S. 109–113.
17 Diese Entwicklung hängt auch mit der »Popularisierung« des Ultramontanismus in
den 1860er Jahren zusammen. Siehe auch Jan Geens, Guido Gezelle en ’t Jaer 30,
1864–1870: de popularisatie van het Ultramontanisme, in: Lamberts (Hg.), De
kruis tocht tegen het liberalisme, S. 160–195.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918