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81Von
Gewalt und Märtyrertum
verglichen das Urteil mit einem »bischöflichen Amendement«, ließ es doch
die Drohungen und Gewalt gegen Bouez und die Gendarmen außer Acht 53.
Dahingegen achtete das Berufungsgericht in Gent, also die nächsthöhere
Instanz, auf die Rolle der Rädelsführer und ihre Handlungen, in denen es
eine illegale Auflehnung gegen die (legitime) Staatsgewalt erblickte, und kam
dabei zu beträchtlichen Strafforderungen. Am härtesten urteilte das Gericht
über Vikar Iserbyt, der angeblich zum Widerstand gegen die Beschlagnah-
mung der Lehrwerkstatt aufgerufen und das Glockengeläut befohlen hatte,
und Auguste Aloïse Lagae, der als Kongregationsvorsitzender eine Konfron-
tation mit dem Staat provoziert hätte54. Legitimiert wurde das Urteil u.a.
durch Zeugenaussagen, nach denen Katholiken bemerkt hatten: »Noch einer
[gemeint war der Bruder des Bürgermeisters – Anm. E.B.], den wir morgen
für den Glauben töten müssen«55.
Das Motiv des kämpfenden Gläubigen war eng mit dem des katholischen
Märtyrers verbunden, das in Heule omnipräsent war56. So blieben nach der
Inhaftierung der Schuldigen die Fenster vieler Wohnungen als Beweis der
Trauer geschlossen und es wurde an der Mühle eine schwarze Fahne mit
den Initialen der Gefangenen gehisst 57. Außerdem organisierte man Pilger-
fahrten und ein Kult der Heuler Märtyrer entstand, der sich in Gedichten,
Gebeten und materieller Hilfe für die Gefangenen ausdrückte. Dahingegen
gab es bei der Entlassung von Vikar Iserbyt und Kongregationspräfekt Lagae
ein Volksfest, man hisste eine weiße Fahne und es wurden sämtliche Mes-
sen verlesen. Auch beflaggten viele Einwohner ihre Häuser und versahen
sie mit Texten, wie »Lang leben all diese wirklich anständigen Verurteil-
ten von Heule. Der Allmächtige wird Sie alle für Ihre Prüfungen lohnen«58.
Trotz dieser inszenierten Sakralität und Emotionalität blieb es ruhig. Dieser
öffentliche Frieden war sicherlich der Mahnung des örtlichen Pfarrers zu
53 Zitiert nach Le Bien Public, 23. Januar 1881.
54 Die »Anstifter« und »Urheber« des Protestes, Auguste Aloïse Lagae und Vikar Iser-
byt, mussten 8 Monate (plus 100 Francs Bußgeld) bzw. sieben Monate ins Gefäng-
nis; weitere acht Straftäter bekamen Haftstrafen von bis zu vier Monaten. Siehe die
Gerichtsurteile in SAK/MGAH 1784. Siehe auch L’ Indépendance Belge, 3., 17. und
19. März 1881; Le Bein Public, 6., 19. und 21. März 1881; L’ Écho du Parlement, 18.,
21. März 1881; Het Handelsblad van Antwerpen, 20. März 1881.
55 Zitiert nach Verheust, Episode de la guerre, S. 145.
56 Auch außerhalb von Heule wurden die Märtyrer gefeiert und ihr Leiden anderen
Gläubigen zum Vorbild gereicht. Siehe auch das Gedicht von Lodewijk De Koninck,
Aan de slachtoffers van Heule, in: Rond den Heerd. Een leer- en leesblad voor alle
lieden met prenten (1880), S. 373–374.
57 Für die folgenden Informationen, siehe auch Het Handelsblad van Antwerpen,
15. September, 15. November, 2.–3. Dezember 1881; L’ Indépendance Belge, 2. und
6. Dezember 1881; L’ Écho du Parlement, 6. Dezember 1881.
58 L’ Indépendance Belge, 6. Dezember 1881.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918