Page - 104 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 104 -
Text of the Page - 104 -
104 Brian A. Stauffer
und Bestrebungen veranlasst, die zu wünschen uns fernsteht und die wir als
entgegen dem Frieden und der öffentlichen Ordnung sowie den Lehren der
Kirche und der Religion absolut missbilligen«36. Die Erzbischöfe gingen sogar
so weit, die »verletzende« und »sarkastische« Sprache zu verurteilen, mit der
die katholische Presse gegen die Reformgesetzgebung angeschrieben hatte37.
Diese Abwendung des Klerus vom Parteienstreit war zum Teil pragma-
tisch motiviert. Der Kirche, die noch unter dem Eindruck des Untergangs
des von ihr gestützten Segundo Imperio stand, war nicht nach einem weiteren
Bürgerkrieg. Doch spiegelten sich in solchen Mahnungen zum Gewaltver-
zicht auch breitere Veränderungen im Gefüge des mexikanischen Katholizis-
mus. Dessen Führungspersönlichkeiten rezipierten die europäische Hinwen-
dung zum Ultramontanismus und sahen die Zeit gekommen, die geistigen
Energien der mexikanischen Gläubigen nach innen zu richten und sie damit
in den Dienst einer Reform des Glaubens zu stellen. Mehrere mexikanische
Kirchenobere hatten einen Gutteil der 1850er und 1860er Jahre im euro-
päischen Exil zugebracht, wo sie sich in die Marienverehrung, wie sie von
Lourdes und Pontmain ausging, vertieft hatten, und sannen nun auf eine
Wiederherstellung des Glaubens in der Heimat. Der zukünftige Erzbischof
von Mexiko, Pelagio Antonio Labastida y Dávalos, hatte gar enge Freund-
schaft mit Pius IX. gepflegt und von diesem die Zustimmung zu einer Neu-
ordnung des mexikanischen Episkopats erhalten, in deren Zuge sieben neue
Diözesen geschaffen und Michoacán und Guadalajara zu Kirchenprovinzen
erhoben wurden38.
Diese Neuordnung begünstigte den Aufstieg einer Reihe von ultramon-
tanen Bischöfen, insbesondere in den neuen, in der westlichen Mitte des
Landes gelegenen Diözesen Zamora (Michoacán) und León (Guanajuato).
Als historische Hochburg der Kirche wurden Michoacán und die gesamte
Region zum Labor für romanisierende Reformen. Die Bischöfe überarbei-
teten Ausbildung und Disziplin in den Seminaren, verschärften die kirch-
liche Aufsicht und versuchten, den Glauben auf eine europäischere Linie zu
bringen. Konkret bedeutete dies häufige Aufrufe zur Solidarität mit dem
umkämpften Pius IX.; ferner wurden Formen der Andacht gefördert, wie
36 Instrucción pastoral que los Ilmos. Sres. Arzobispos de México, Michoacán, y Gua-
dalajara dirigen a su Venerable Clero y a sus fieles con ocasión de la Ley Orgánica
expedida por el Soberano Congreso Nacional en 10 de diciembre del año próximo
pasado y sancionada por el Supremo Gobierno en 14 del mismo mes, 19. März 1875,
abgedruckt in: Alfonso Alcalá / Manuel Olimón (Hg.), Episcopado y gobierno en
México. Cartas pastorales colectivas del episcopado mexicano, 1859–1875, Mexiko-
Stadt 1989, S. 293–338.
37 Ebd., S. 300.
38 Siehe auch Cecilia Bautista Garcia, Clérigos virtuosos e instruidos: un proyecto
de romanización clerical en un arzobispado mexicano. Michoacán, 1867–1887,
Morelia 2017.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918