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120 Péter Techet
slawische Präsenz vom urbanen Raum fernzuhalten oder
– wenn diese schon
im urbanen Raum angekommen war – als »ländlich«, »fremd« zu stigmati-
sieren, wurde in den nationalliberalen Diskursen eine starke Kontrastierung
zwischen »Stadt« und »Land« bedient12. In Triest war das Alltagsleben zwar
mehrsprachig, aber das politische Leben stand unter dem Zeichen ethnisch-
national markierter, politischer Konflikte13. Die Raumansprüche betrafen
auch die römisch-katholische Kirche, die in Triest nationalpolitisch beson-
ders umkämpft war14. Ivan Nepomuk Glavina, der zwischen 1882 und 1895
Bischof von Triest war, musste etwa in einem Bericht an die örtliche Statthal-
terei feststellen, dass »[w]ir leider in einer Zeit [leben], wo die politischen und
National-Parteien auch die [katholische] Kirche und die Diener derselben
für ihre Zwecke ausnützen wollen«15.
Bezüglich der Kirche nahmen die italienischsprachigen Nationalliberalen
die südslawischen Priester und die mancherorts praktizierte slowenischspra-
chige Liturgie (oder zumindest Predigt) als »Gefahr« für die Latinität der
Kirche (und somit für die italianità des Küstenlandes) wahr16. Gleichzeitig
konnten die italienischsprachigen Nationalliberalen das Feindbild »katho-
lische Kirche« mit antislawischen Affekten untermauern17. Die katholische
Kirche stellte nämlich besonders in den ländlichen Regionen für die in der
lokalen Machtstruktur benachteiligten Bevölkerungsgruppen, z.B. Südsla-
wen in Istrien, den inhaltlichen und organisatorischen Rahmen der sozialen
12 Vgl. Vanni D’ Alessio, Croatian Urban Life and Political Sociability in Istria from
the 19th to the Early 20th Century, in: Jahrbücher für Geschichte und Kultur Süd-
osteuropas 8 (2006), S. 133–152, hier S. 137–139; Marta Verginella, Il paradigma
città / campagna e la rappresentazione dualistica di uno spazio multietnico, in: Con-
temporanea 11 (2008), H. 4, S. 779–792, hier S. 790f.; zur Entstehung der dichotomi-
schen Raumimaginationen in und um Triest, siehe auch Francesco Toncich, Narra-
zioni e pratiche politiche antislave a Trieste tra città e campagna (1850–1871), in: Acta
Histriae 25 (2017), S. 539–562.
13 Vgl. Marina Cattaruzza, Trieste nell’ Ottocento. Le trasformazioni di una società
civile, Udine 1995, S. 157–165.
14 Zur Aufarbeitung der ethnisch-nationalistisch motivierten (interpretierten) inner-
katholischen Konflikte in Triest siehe generell Valdevit, Chiesa e lotte nazionale.
15 Brief vom Bischof Glavina an die Statthalterei des Österreichischen Küstenlandes
(30. November 1894), in: Archivio di Stato di Trieste (Staatsarchiv von Triest, wei-
ter: AST), Imperial Regia Luogotenenza (Kaiserlich-Königliche Statthalterei, weiter:
Luogotenenza), Atti Presidiali (Präsidialakten, weiter: AP), busta (b.) 169, fasc. 4.2.1,
1894 / 2343.
16 Vgl. Paolo Blasina, Die Kirche und die nationale Frage in den adriatischen Gebieten
1870–1914, in: Angelo Ara / Eberhard Kolb (Hg.), Grenzregionen im Zeitalter der
Nationalismen. Elsaß-Lothringen / Trient-Triest, 1870–1914, Berlin 1998, S. 177–199,
hier S. 181.
17 Vgl. Ernst Bruckmüller, Österreich – eine »katholische« Nation?, in: Urs
Altermatt / Franziska Metzger (Hg.), Religion und Nation. Katholizismen im
Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2007, S. 69–93, hier S. 86.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918