Page - 135 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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135Gewalt
unter ländlichen Katholiken in der späten Habsburgermonarchie
Zeichen der Versöhnung wurden 64 Kinder an diesem Fest getauft99. Sogar
die nationalliberale Edinost in Triest schrieb von einem »Wunder« bezüglich
der Entspannung in Ricmanje100.
Ricmanje wurde aber auch später nicht ruhiger: Als etwa der neue Pfarrer
Don Zega im Mai 1912 lateinische Sänge einführte101, oder als ein weiterer
Pfarrer, Don Križman, im
März 1915 die angeblich lockere Sexualmoral und
die zu kurzen Röcke der Mädchen und Frauen im Dorf anprangerte102, ver-
mieden mehrere Einwohner monatelang die Gottesdienste. Weil aber diese
Konflikte
– wahrscheinlich wegen der Abwesenheit von Don Požar und eines
gewissen Desinteresses in den nationalliberalen Zeitungen – nicht mehr im
Kontext eines innerkatholischen Nationalitätenkonfliktes inszeniert und
erklärt wurden103, blieben sie in der Öffentlichkeit unbeachtet, obwohl die
Gründe ähnliche waren wie vor 1911: normabweichende Partikularitäten im
kirchlichen und sozialen Leben einer eigensinnigen Dorfgemeinschaft.
Erfolgschancen der Gewaltmomente
Auch wenn der Konflikt im Kontext der Nationalitätenfrage als sloweni-
sches Aufbegehren inszeniert und interpretiert wurde, ist in den makropo-
litischen Diskursen das bewusste Handeln der Dorfgemeinschaft oft infrage
gestellt worden. Den Dorfbewohnern wurde religiöse Indifferenz und kirch-
liches Unwissen unterstellt: dass sie nicht gewusst hätten, was sie eigentlich
wollten bzw. dass sie willenlos einem rebellischen Priester ausgesetzt seien.
Die Bezirkshauptmannschaft beschrieb schon am Anfang der Konfliktge-
schichte die Bevölkerung als »in religiösen Dingen ohnehin indifferent«104;
der Wiener Nuntius Emidio Taliani berichtete in seinen Briefen an Kardinal
Rampolla von der »ignoranten« Dorfbevölkerung105; und die italienisch-
sprachigen, katholischen Blätter aus Triest schrieben über »arme Bauern
99 Slovenski Narod, 22. November 1910.
100 Edinost, 18. November 1910.
101 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Boljunec (26. Mai 1912), in:
AST, Luogotenenza, AP, b. 370, fasc. 19b, 1912 / 1076.
102 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Koper / Capodistria an den Bischof von
Triest (13. März 1915), in: ADT, GP, 1915 / 18.
103 Die Inszenierung ländlicher, sozialer (oder anderer) Streitigkeiten entlang national-
ethnischer Gegensätze war ansonsten eine in der ganzen Habsburgermonarchie
verbreitete Strategie; vgl. Pieter M. Judson, Guardians of the Nation. Activists on
the Language Frontier in Imperial Austria, Cambridge MA u.a. 2006, S. 10.
104 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Koper / Capodistria an die Statthalterei
von Triest (23. August 1900), in: AST, C.d. Capodistria, Culto, b. 170, fol. 493f.
105 Brief von Nuntius Taliani an Kardinal Rampolla (1.
Dezember 1900), in: ASV, ANV,
b. 692, fol. 282.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918