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144 Sara Mehlmer
»religiös« motivierte Gewalt handelte oder nicht vielmehr um eine In-
strumentalisierung des Religiösen, zum Beispiel zum Zwecke der Machtde-
monstration und symbolischen Unterwerfung, oder auch um die religiöse
(Um-)Deutung eines eigentlich säkularen Konflikts. In diesem Rahmen wird
der Frage nachgegangen, welche Rolle die individuelle und kollektive Erinne-
rung an Gewalt sowie ökonomische, territoriale, koloniale und persönliche
Interessen neben möglichen religiösen Motiven bei der Entstehung und Aus-
tragung gewaltsamer Konflikte im nordafrikanischen Grenzgebiet spielten.
Mit den »Tiradores del Rif«, einer berberischen Einheit im spanischen Heer,
wird zuletzt auf eine Personengruppe eingegangen, die sich gerade nicht in
das scheinbar so starre Schema des muslimisch-christlichen bzw. marokka-
nisch-spanischen Antagonismus vor Ort fügte und damit als Beispiel dafür
dienen kann, dass in der nordafrikanischen Grenzregion neben Gewalt und
Konflikt auch Kooperation und Interaktion zum Alltag gehörten.
Katholizismus an der Grenze:
Melilla und das östliche Riffgebiet
Seit der sogenannten Reconquista, also der »Rückeroberung« Spaniens von
den Mauren, die im Jahr 1492 mit der Übergabe Granadas an die Katholi-
schen Könige Ferdinand und Isabella abgeschlossen war, wurde der Katho-
lizismus zur Kernideologie Spaniens. Mit der systematischen Verfolgung,
Ausweisung und Tötung Andersgläubiger sollte die katholische »Reinheit«
auf der Iberischen Halbinsel gesichert werden. Neben dem Judentum kam
vor allem dem Islam dabei die Rolle des Erbfeindes zu, was sich in Mythen
und Nationalheiligen wie »Santiago Matamoros«, dem »Maurentöter«, aber
auch in zum Teil heute noch praktizierten lokalen Volksfesten manifes-
tierte13. Dieser mythische Antagonismus wurde von einer durchaus als real
empfundenen Bedrohung durch eine erneute muslimisch-maghrebinische
»Invasion« begleitet.
Um diese Bedrohung einzudämmen, die wirtschaftlich bedeutsame
Meerenge von Gibraltar sowie das Mittelmeer vor Piraten zu schützen und
eine Ausweitung des spanischen Einflusses in Nordafrika zu ermöglichen,
hatte Spanien (neben Portugal) im 15. und 16.
Jahrhundert Teile Nordafrikas
erobert. Dazu gehörte auch Melilla, das sich seit 1497 in spanischem Besitz
13 Vgl. Henk Driessen, Mock Battles between Moors and Christians. Playing the
Confrontation of Crescent with Cross in Spain’ s South, in: Ethnologia Europaea 15
(1985), S.
105–115 sowie Martín Corrales, La imagen del magrebí, S.
49f. Zur Rolle
des Islam in der Herausbildung eines spanischen Nationalbewusstseins vgl. Hertel,
Der erinnerte Halbmond.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918