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147Religion
und Gewalt im Grenzkonflikt bei Melilla, 1860–1863
Autonomie geprägt24. Des Weiteren kennzeichnete die Region der Grenzcha-
rakter gegenüber dem »dār al-harb«, dem als »Gebiet [»Haus«] des Krieges«
bezeichneten nicht-muslimischen Teil der Welt25, was sich unter anderem
in der besonderen Bereitschaft der Riffberber zum Kampf gegen christliche
Invasoren widerspiegelte26. Die Verdrängung maurischer Herrscher von der
Iberischen Halbinsel und die Eroberung zentraler marokkanischer Küs-
tenstädte, die Etablierung eines »katholischen Königtums« in Spanien und
die Ausweisung nichtkatholischer Untertanen im 15. und 16. Jahrhundert
bedingten nicht nur Migrationsbewegungen von Juden und Muslimen in
Richtung Marokko, sondern förderten auch dort eine gewisse Tradition der
Feindschaft, die durch die Erinnerung an Gewalt, Vertreibung und Erobe-
rung wachgehalten wurde27.
Die Verehrung lokaler Heiliger auf beiden Seiten der Grenze spiegelte
diese Erinnerung wider und begünstigte sie zugleich. Der Heilige Sidi Gua-
riach (Auriach) beispielsweise, der von den Berbern bei Melilla verehrt wird
und dessen Grab sich im unmittelbaren Grenzgebiet befindet, war, so die
Legende, ein Zeitgenosse von Pablo Estopiñán, dem spanischen Eroberer
Melillas, und damit Zeuge der spanischen Einnahme der Stadt Ende des
15. Jahrhunderts28. Er hatte sich zu seinen Lebzeiten auch durch seine Ein-
satzbereitschaft im Kampf gegen die christlichen Invasoren ausgezeichnet,
24 Vgl. David Seddon, Moroccan Peasants. A Century of Change in the Eastern Rif
1870–1970, Folkestone 1981, S. 15. Fouad Zaïm erklärt diese Randständigkeit u.a.
mit der spanisch-portugiesischen Besetzung zentraler marokkanischer Mittelmeer-
städte und der damit verbundenen Umorientierung des marokkanischen Staates auf
die Atlantikküste, vgl. Fouad Zaïm, Le Maroc et son espace méditerranéen. Histoire
économique et sociale, Rabat 1990. Mit dem spanischen Sieg gegen Marokko und
den Gebietsabtretungen des Sultans nach 1860 begann, so die Einschätzung Ger-
main Ayaches, erst die eigentliche Phase der zunehmenden Autonomie der Region,
was mit der Weigerung zu Gebietsabtretungen, den Versuchen des Sultans, diese
gewaltsam durchzusetzen und einem damit verbundenen Loyalitätsverlust dessel-
ben einherging. Vgl. Germain Ayache, Société rifaine et pouvoir central marocain
(1850–1920), in: Revue Historique 254 (1975), S. 345–370, hier S. 359f.
25 Vgl. Jacques Vignet-Zunz / Jawhar Vignet-Zunz, Sociétés de montagnes méditerra-
néenes. Ouarsenis (Algérie), Jabal Al-Akhḍar (Libye), Rif (Maroc), Paris 2017, S.
201f.
sowie Rosa María de Madariaga, El Rif y el poder central: Una perspectiva histór-
ica, in: Revista de Estudios Internacionales Mediterráneos (REIM) 9 (2010), S. 1–9,
hier S. 2.
26 Zur Bedeutung des Dschihad für den marokkanischen Staat im Allgemeinen und
das Riffgebiet im Besonderen vgl. Amira K. Bennison, Jihad and its Interpretations
in Pre-Colonial Morocco. State-Society Relations during the French Conquest of
Algeria, London u.a. 2002 sowie dies., Liminal States. Zum besonderen Einsatz der
Riffberber im Kampf gegen europäische Invasoren vgl. Pennell, Morocco since
1830, S. 40 sowie de Madariaga, España y el Rif, S. 91f.
27 Vgl. De Madariaga, España y el Rif, S. 55f.
28 Vgl. Lucas Calderón Ruiz / Adela Ana Ponce Gómez, Itinerario místico-mágico
por Ikelaia. Morabos, leyendas y tradiciones populares, in: Aldaba. Revista del Cen-
tro asociado a la UNED de Melilla 16 (1991), S. 93–108, hier S. 94f.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918