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148 Sara Mehlmer
die ihn das Leben kostete. »Nuestra Señora de la Victoria« wiederum wurde
im 18.
Jahrhundert zur Stadtheiligen Melillas erklärt, nachdem man ihr wie-
derholt Wunder im Kampf gegen die muslimischen Nachbarn zugeschrieben
hatte29. Die Priester der Exklave verpflichteten sich, im Falle kriegerischer
Unternehmungen gegen die »moros« eine Messe zu Ehren der Stadtheiligen
abzuhalten30. Die beiden Heiligen sind also in mehrerlei Hinsicht bedeut-
sam für die Region, da ihnen nicht nur besondere Fähigkeiten und Kräfte
zugeschrieben wurden, sondern durch ihre Verehrung gleichsam die Erin-
nerung an den jahrhundertealten Kampf gegen den Nachbarn wachgehalten
wurde. Sie lassen sich also als lokale religiöse Verkörperung der territoria-
len und militärischen Auseinandersetzung zwischen marokkanischen und
spanischen bzw. muslimischen und christlichen Nachbarn verstehen und
damit als Sinnbild der Verschmelzung des territorialen Konflikts mit religi-
ösen Elementen.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die besondere Lage der
Region eklatant das Zusammenleben im Grenzgebiet bestimmte. Die geo-
grafische Randständigkeit bedingte eine relative Handlungsautonomie loka-
ler Autoritäten im Hinblick auf den jeweiligen Zentralstaat, zugleich aber
die Selbstwahrnehmung als Vorposten und damit Verteidiger nicht nur des
eigenen Staates, sondern auch der eigenen Kultur und Religion. Gleichzeitig
ermöglichte und erzwang eben jene Randständigkeit ein gewisses Maß an,
vor allem wirtschaftlicher Kooperation und friedlicher Koexistenz.
Mit der Unterzeichnung des spanisch-marokkanischen »Friedens- und
Freundschaftsvertrags« im Jahr 1860 hatte sich der marokkanische Sultan
zu Gebietsabtretungen um Ceuta und Melilla als Beitrag zur Sicherung der
spanischen Exklaven verpflichtet31. Die Umsetzung dieser Grenzerweite-
rungen gestaltete sich insbesondere im Falle Melillas als schwierig. Berberi-
sche Siedlungen lagen unmittelbar an der spanisch-marokkanischen Grenze
und waren entsprechend von den Grenzverschiebungen nach 1860 betrof-
fen, deren Umsetzung sich mit der genauen Bestimmung des neuen Grenz-
verlaufs ab Mitte 1862 konkretisierte32. Zahlreiche Bewohner mussten ihre
29 Hierbei handelte es sich um eine Erscheinung der Jungfrau Maria, die im Zuge des
christlichen Sieges bei Lepanto 1571 von Papst Pius V. anerkannt, allerdings schon
zuvor in Spanien besonders verehrt worden war, vgl. Miguel C. Vivancos Gómez,
La Iglesia Católica en Melilla, in: Antonio Bravo Nieto / Pilar Fernández Uriel
(Hg.), Historia de Melilla, Melilla 2005, S.
681–708, hier S.
695f. sowie Driessen, The
Politics of Religion, S. 243.
30 Vgl. Vivancos Gómez, La Iglesia Católica, S. 695f.
31 Art. 2 des spanisch-marokkanischen »Tratado de paz y amistad« vom 26.
April 1860,
in: Isidro de las Cagigas, Tratados y convenios referentes a Marruecos, Madrid
1952, S. 45.
32 Die neue Grenzlinie bei Melilla sollte, so ein bereits im August 1859 unterzeichnetes
bilaterales Abkommen, mittels eines aus der Exklave abgefeuerten Kanonenschusses
bestimmt werden. Dies erfolgte im Juni 1862.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918